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Kultur: Tirana leuchtet

Total international: Die DAAD-Galerie zieht nach Mitte – und eröffnet mit einer Arbeit von Anri Sala

Über fünfzehn Jahre haben sie noch ausgeharrt, nach dem Mauerfall. Einen Traditionsort wie das alte Café Einstein, die berühmte Villa von Henny Porten in der Kurfürstenstraße gibt keiner gerne auf. Immerhin existierte der Deutsche Akademische Austauschdienst hier seit 1978, zeigte über 200 Ausstellungen. Doch irgendwann kann sich auch eine Ur-WestBerliner Institution wie der Deutsche Akademische Austauschdienst dem Trend zur Mitte nicht verschließen. Ab heute residiert das Berliner Künstlerprogramm des DAAD in der Zimmerstraße, wo sich schon vor etlichen Jahren ein Galeriezentrum gebildet hat.

Am neuen Standort zwischen Checkpoint Charlie und Martin-Gropius-Bau gibt der DAAD seinen Einstand mit Film- und Fotoarbeiten des albanischen Videokünstlers Anri Sala. Den sechs Meter hohen, relativ kleinen Hauptraum dominieren riesige Fenster, eine kniffelige Ausgangsposition. Anri Sala nimmt die Hürde elegant mit einer bewährten Arbeit von 2003 und einer Riesenlinse, die sein Video „Dammi i colori“ verzerrungsfrei und metergroß auf die Hauptwand wirft. Friedrich Meschede, beim DAAD zuständig für die bildenden Künstler, hat sich dieses 2003 auf der Biennale di Venezia gezeigte Werk zum Start gewünscht. Es handelt von einer außergewöhnlichen Verschönerungsaktion in Salas Heimatstadt Tirana, wo der Bürgermeister Zug um Zug eine Straßenfassade nach der anderen in bunten Farben streichen ließ. Sala filmte dieses weltgrößte abstrakte Gemälde bei Tag und Nacht und ließ den Bürgermeister erzählen, was er sich von den Farben für die Menschen verspricht.

Dieser hoffnungsvolle, vielleicht auch naive Aufbruch in die Moderne passt perfekt zum neuen Ort. Auch dieser befindet sich an einer Grenze zwischen Gestern und Heute, Ost und West, erlebt das Glück und die Sorge eines Neubeginns. Im Galeriezentrum Mauerstraße steht er in bester Lage: Hier schlägt sich die Zugkraft des Berliner Künstlerprogramms in kreativer Umgebung nieder. Zeitgleich mit Sala eröffnet Ayse Erkmen, die vor zehn Jahren mit dem DAAD nach Berlin kam, in der Galerie Barbara Weiß; in der Galerie Klosterfelde ist derweil Matthew Buckingham zu sehen, der 2002 eine Einladung als Stipendiat erhielt.

Anri Sala fügt sich vorbildlich in diese exklusive Künstlerreihe, die junge, vielversprechende Talente für Berlin vereint – einst um den Westteil der Stadt vor Isolation und Provinzialismus zu bewahren, heute um Berlin als Drehscheibe für den Osten attraktiv zu halten. Der 1974 geborene Sala ist aus Paris für ein Jahr nach Berlin übergesiedelt, aber sein Werk verkörpert noch immer den Moment einer Transformation. Wohl deshalb gefällt ihm die Stadt so gut: Der urbane Raum ist in Berlin weniger klar definiert als in der französischen Kapitale; Veränderung bleibt spürbar. Mit seinem Fahrrad flitzt Sala auf immer neuen Wegen von Wilmersdorf Richtung Mitte oder Kreuzberg; diese Art der Fortbewegung wäre in Paris, wohin er 1992 zum Studium übergewechselt war, nicht denkbar.

Ob seine nächste Videoarbeit in Berlin entsteht? Der Verein der Freunde der Neuen Nationalgalerie, der den jungen Videokünstler neben Angela Bulloch, John Bock und Monica Bonvicini auf die short list für den mit 50000 Euro dotierten Kunstpreis setzen ließ, würde sich das wohl wünschen, wenn im September die Kandidaten ihre Werke im Hamburger Bahnhof präsentieren. Doch Salas Arbeiten „passieren“ ihm häufig, wie etwa jenes schon berühmte Werk „Uomoduomo“, für das er 2001 auf der Biennale di Venezia den Preis für den besten jungen Künstler erhielt.

Eigentlich waren Dreharbeiten vor dem Mailänder Dom geplant, die nicht recht vorankamen. Um Abstand zu gewinnen, zog sich Sala mit seiner digitalen Kamera ins Dunkel der Kathedrale zurück, wo er jenen alten Mann entdeckte, der immer wieder einzuschlummern drohte, um sich dann doch wieder aufzurichten, da Schlafende in der Kirche nicht geduldet werden. Mittels Loop hat Sala einen ewigen Kreislauf geschaffen, ein Mitleid erregendes Bild für die mühsam gewahrte Form, zugleich eine meisterliche Momentaufnahme für den Schutzraum Kirche, das gesellschaftliche Reglement und die Schicksalhaftigkeit von Alter und Armut.

Salas Videoarbeiten spielen meist in diesem Zwielicht, dieser Zwischenwelt. Seine erste große Einzelausstellung in Deutschland letztes Jahr, mit der Robert Fleck als Direktor in den Hamburger Deichtorhallen seinen Einstand gab, trug den Titel „Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen“. Sala schafft surreale Szenarien, die er dennoch stets in der Wirklichkeit vorfindet, wie jenes Pferd am Rande einer Autobahn oder die vergeblichen Bemühungen eines DJs, vor der kriegszerstörten Kulisse Tiranas einem Silvesterfeuerwerk mit eigenem Sound zu antworten. Als Jugendlicher hat Anri Sala in seiner Heimat radikale politische Umbrüche erlebt, Phasen schierer Gesetzlosigkeit, aber auch große Momente gesellschaftlichen Neubeginns. Das macht ihn empfindsam für die Nuancen des Zusammenlebens – und attraktiv für einen westlichen Kunstbetrieb, der sehnsüchtig das Elementare zu spüren sucht.

DAAD-Galerie, Zimmerstr. 90/91, bis 12.März; Eröffnung heute 19 Uhr.

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