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Kultur: Tod eines Pausenclowns

Regisseur Helge Schneider jagt die Satanskralle von Singapur durchs Bochumer Schauspielhaus

Eigentlich möchte Kommissar Schneider das warme Fußbad seines Lebensabends zwischen Stehlampe und Endoskop genießen. Wohlverdient, denn der wohl scharfsinnigste Kriminalist zwischen Ruhr und Emscher hat sie bereits alle zur Strecke gebracht: den existenzialistischen Clownskiller Nihil Baxter, den Mörder mit der Strumpfhose, den Scheich mit der Hundehaarallergie und selbst das scharlachrote Kampfhuhn. Allein, das Böse ruht nicht. Wieder ist ein namenloser Verbrecher entwichen und schlägt nun eine blutige Schneise des Grauens durchs Land. Da kann nur einer helfen: Kommissar Schneider muss abermals den Amtsschimmel satteln.

Der Ermittler mit dem Triumph TR3 und der weißen Schiebermütze ist einer der schillerndsten Charaktere im knorrigen Œuvre Helge Schneiders. Spätestens seit Schneiders gefeiertem Regie-Werk „Mendy das Wusical“, das in Bochum das Thema Pferdezeitschriften dramatisiert, zieht es das 49-jährige Urgestein aus Mülheim an der Ruhr ins ernste Fach, hin zum Sprechtheater. Und warum auch nicht? Christoph Schlingensief, bei der „Jagd auf Nihil Baxter“ noch Schneiders Kameramann, darf inzwischen ja sogar Opern inszenieren.

Großkariert, strähnig und wadenfrei betritt der Kommissar (Bernd Rademacher) in Helge Schneiders zweiter Bochumer Regiearbeit „Aprikose, Banane, Erdbeer. Kommissar Schneider und die Satanskralle von Singapur“ die verschachtelte Bühne, die an einen frühen Pink-Panther-Cartoon erinnert und der schön geschwungenen Adenauer-Eleganz des Schauspielhauses ein erdig tapeziertes Innenleben nebst Union-Tresen und Würstchenstand beschert (Bühne: Volker Hintermeier). Dort richtet der satanische Verbrecher (gespielt von Schneiders Schlagzeuger Peter Thoms) ein Blutbad an, dass die roten Konfetti nur so über die Bühne spritzen.

Der schnauzbärtige Ermittler heftet sich mit bewährten Methoden an die Fersen der Bestie: aussitzen und abwarten. Alle Spuren führen immer wieder in die Flipperstube eines Büdchens, von da aus in die Hölle. In der geschundenen Landschaft zwischen Hochofen und Zeche, wo schon Schneiders Regie-Kollege Frank Castorf scheitern musste, ist nichts, wie es scheint. Im Foyer kann man anschließend Opel-T-Shirts kaufen und sich bei der Aktion „Lächeln für das Ruhrgebiet“ fotografieren lassen. Auf der Bühne bringt die Satanskralle, wie der Fremde mit der Eisenhand genannt wird, einen nach dem anderen um. Die Spur führt nach Singapur, doch Schneider reist versehentlich nach China. Ist nun alles verloren?

Im gleichnamigen Buch (KiWi, Köln 2004) ist der Satansheini eine janusköpfige Gestalt, die nur das Gute will und doch das Böse schafft. Auf der Bochumer Bühne hingegen hampeln Kralle, Kommissar, Kabuffke, Krokodil und andere Kanaillen in einer kurzweiligen Verfolgungsjagd durcheinander, grell lodert der Ofen zum Abstich. Am Bühnenrand intoniert ein Jazz-Trio Crime-Motive, und auch ein paar abgedroschene Theater-im-Theater-Witze fehlen nicht. Zwischendurch erscheint eine tragikomische Person als Pausenclown. All dies erinnert dezent an den Abklatsch einer Brecht-Inszenierung aus den Fünfzigerjahren: Wie ein tragischer Baal agiert die Todeskralle unter einem alten BilbaoMond.

Die Abgründe der mal expressionistischen, mal surrealen Prosavorlage bleiben dabei auf der Strecke. Nur vordergründig Krimi, spielt „Aprikose, Banane, Erdbeer“ tatsächlich auf einer RaumZeit-Achse in mehreren Dimensionen. Immer wieder klaffen Risse in der Wirklichkeit. In psychedelisch-allegorischen Visionen sitzt plötzlich Dürer in der Küche und zeichnet „Ritter, Tod und Teufel“, einmal stapfen Mammuts durchs Wohnzimmer. Diese Metaebene geht auf der Bühne ebenso verloren wie der bizarre Sozialmanierismus der Filme. Bernd Rademacher ist da eine blasse Kopie des Originals. Lediglich der Pyjama-Tanz von Segrej Gleithmann, der schon in „Texas“ den langbärtigen Gott spielte, schenkt der Aufführung einen Moment von poetischer Schönheit.

Was fehlt, ist Helge Schneider als sein eigener Hauptdarsteller. Den meisten Beifall erntet denn auch eine von ihm selbst gesprochene Radiodurchsage, bei der man unwillkürlich an den Tod Moshammers denken muss. Einmal sagt der Pausenclown: „Muss erst jemand sterben, bevor ihr merkt, dass das hier ernst ist?“ Auch wenn am Ende alle tot sind, stellt sich kein Ernst ein – und selbst die Komik tönt so hohl wie das grausame Lachen der Satanskralle von Singapur.

Helge Schneider stellt sein soeben erschienenes Live-Album „Füttern verboten“ vom 5. bis zum 14. April im Berliner Schiller Theater vor.

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