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Kultur: Tollhaus

Herbert Fritschs „Nora“ beim Theatertreffen

Oberhausen weint, Oberhausen jubelt. Die Fußballer von Rot-Weiß steigen aus der 2. Liga ab, und ein paar Stunden später feiert das Oberhausener Theater in Berlin einen klaren Publikumserfolg. Herbert Fritsch heißt der Trainer, der die abgelegene Bühne zum Theatertreffen geführt hat, mit einer grellen „Nora“ – wie zuvor schon die Schweriner mit dem krawalligen „Biberpelz“. Als Regisseur kann sich der 60-Jährige jetzt vor Aufträgen nicht retten, nachdem die Volksbühne ihren komischen Stürmerstar aus dem Kader gestrichen hat. Am kommenden Wochenende hat er wieder in Schwerin Premiere, mit Goldonis „Diener zweier Herren“, Ende Juni erschlägt er am Rosa-Luxemburg-Platz – welch süß-saure Rückkehr! – „Die spanische Fliege“, eine uralte Super-Klamotte, und in der nächsten Spielzeit wird Fritsch am Schauspiel Köln Brechts „Puntila“ inszenieren.

Es war der Oberhausener Intendant Peter Carp, der – damals noch Theaterleiter in Luzern – Fritschs Regiekarriere entscheidend beeinflusste. Der Weg aus der persönlichen wie der allgemeinen Theaterkrise führt über Komödien. Wenn man die Welt (und das Theater) auch nicht verändern kann, man kann sie verlachen, verdrehen, verrücken. Ibsens „Nora oder Ein Puppenhaus“, brutal wörtlich genommen: Die Oberhausener Hausfrau und Bankiersgattin ist bei Manja Kuhl eine rothaarige Hexe, ein geldgieriger Giftpilz, verfolgt, begrapscht von strähnigen, sabbernden Untoten. Falls man diesem zappeligen Wesen Gefühle und Gedanken unterstellen darf, ist Noras Strategie klar: purer Materialismus und den Scherz auf dem rechten Fleck. Eine andere Sprache verstehen die Zombiemänner nicht, nur so lässt sich diese übergriffige Bande abschütteln. Rezeptionsgeschichte? Feminismusdebatte? Weg damit. Bürgermilieu, Befreiungsdramaturgie? Viel zu umständlich. Bei Thomas Ostermeier an der Schaubühne ballerte sich vor Jahren die Puppenhausbewohnerin mit einer Pistole den Weg frei. Hier sind die Typen schon erschossen, langen mit ihren Spinnenfingern nach dem Struwwelpeter-Mädchen, um schließlich im Bühnenhimmel zu verschwinden. Die Ibsen-Radikalkur dauert eindreiviertel Stunden, das Festspielhaus bejubelt eine nervige „Nora“, die nach wenigen Minuten zum nicht vorhandenen Kern der Sache vordringt. Das Puppenhaus hat keine Wände, keine Möbel, keine Seele, es ist hohl und leer, ohne Liebe, ohne Schmerz, das Geld ist auch futsch. Der Regisseur lässt sich von den Schauspielern bei der Verbeugung den Hintern versohlen. Das hat er sich verdient. Noch einen Lacher. Rüdiger Schaper

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