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Kultur: Tommy, der Zauberer

Das Berliner Schwule Museum feiert Thomas Manns Homosexualität als Kulturleistung

Thomas Manns erste Liebe ist sein Schulkamerad Armin Martens. Im Jahr 1889 offenbart der 14-Jährige dem Freund seine Zuneigung. Der lacht ihn aus. Für den sensiblen Thomas eine tiefe Demütigung. Und ein Schock, der nachwirkt: Der Kaufmannssohn wird sich mit seinen homoerotischen Gefühlen hinter seine Kunst zurückziehen. Armin Martens setzt er mit der Figur des Hans Hansen im „Tonio Kröger“ ein Denkmal. Auch spätere Lieben bringt Thomas Mann in seinem Werk unter. Der heimlich verehrte Mitgymnasiast Williram Timpe findet sich als Pribislav Hippe im „Zauberberg“ wieder, und Paul Ehrenberg, die „zentrale Herzenserfahrung meiner 25 Jahre“, ist als Rudi Schwerdtfeger im „Doktor Faustus“ verewigt.

Anlässlich des 50. Todestages des Literaturnobelpreisträgers, der am 12. August 1955 in Zürich starb, würdigt die von Wolfgang Theis kuratierte Ausstellung „Applaus muss sein“ im Kreuzberger Schwulen Museum die „Homosexualität als Kulturleistung“ (so der Untertitel) in Leben und Werk von Thomas Mann. Zunächst wird das Spannungsfeld der Familie angedeutet. Heinrich Breloers Dokumentarfilm „Unterwegs zu Familie Mann“ ist zu sehen, eine Fotoabteilung zeigt Familienszenen: Die Teestunde im Kreise der Lieben, Thomas mit dem Schriftstellerbruder Heinrich, mit seiner Frau Katia, der er „für ihr Verständnis“ gegenüber seinen amourösen Ambitionen dankbar ist, mit den sechs Kindern. Erika, die älteste Tochter und später seine wichtigste Assistentin, der „geniale Sohn“ Klaus und auch Golo, das drittälteste der Kinder – sie alle sind homosexuell. Sie leben ihre Orientierung aus, wo ihr Vater sie zu Kunst sublimiert.

Dabei ist Mann immer ein Darsteller, ein Versteller. Applaus muss sein. Hunderte fotokopierte Porträts des „Buddenbrooks“-Autors bedecken in einer etwas hingebastelt wirkenden Collage eine den Ausstellungsraum teilende Säule, auf zwei anderen Pfeilern sind Fotos von Katia verteilt und blickt spitzbärtig ein vervielfältigter Heinrich in die Runde. Der hat eine Vorliebe für „dicke nackte Weiber“, noch am Totenbett fertigt der Genussmensch obszöne Skizzen, eine dieser Puffszenen schmückt eine Ausstellungswand. Geschlechtliches ist, noch vor der Politik, ein Grundkonflikt zwischen den Brüdern.

Für Thomas Mann ist der „mann-männliche Liebesbund“ vor allem etwas Ästhetisches. Über die „Sexualkameradschaft“ schreibt er 1930 in seinem Essay „Über die Ehe“: „Das Prinzip der Schönheit und Form (…) steht dem Leben in stolzer Melancholie entgegen und ist im tiefsten mit der Idee des Todes und der Unfruchtbarkeit verbunden“. Am eindrucksvollsten verarbeitet er diesen Gedanken wohl in der Novelle „Tod in Venedig“, die als feste Größe im schwulen Bildungskanon gilt; der Künstler Rinaldo Hopf hat ein Porträt des jungen Thomas Manns auf die Seiten einer Buchausgabe gemalt.

Für die schwule Sache tritt der Dichter (ohne sich zu outen) durchaus auch öffentlich ein. 1922 unterzeichnet er die Petition des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld, in der dieser die Abschaffung des Paragrafen 175 fordert. „Schnüfflerisch“ findet Mann das Gesetz, das ausgeübte Homosexualität unter Strafe stellte. Erst 1969 wird der Passus fallen.

Die wichtigsten Dokumente von Thomas Manns Homosexualität bleiben seine Tagebücher, die in der Ausstellung einen besonderen Platz einnehmen. Ein kleiner Raum ist, einer geheimen Schatzkammer gleich, den Erinnerungen gewidmet. In ihnen ist Mann ein Bekennender, hier erzählt er frei von seinen homoerotischen Neigungen, von Klaus Heuser etwa, der ihm 1927 „am meisten Gewährung entgegenbrachte“. Aufgewühlte Passagen sind dem Kellner Franz Westermeier gewidmet, den der alternde Romancier 1950 im Grandhotel Dolder in Zürich kennen lernt. Franzl, der „göttliche Knabe“, ist seine letzte, so leidenschaftliche wie unerfüllte Liebe. Von der Decke baumelt eine Installation aus Textsprengseln. „Hermesbeine“ steht da, oder „Wünsche ich, dass die Welt mich kenne?“ Diese Frage wird von einem lakonischen Kommentar Manns über eine etwaige postume Veröffentlichung seiner Tagebücher beantwortet: „Heitere Entdeckungen dann, in Gottes Namen.“

„Applaus muss sein“ – bis zum 5. September im Schwulen Museum, Kreuzberg, Mehringdamm 61, tägl. außer Di 14–18, Sa bis 19 Uhr.

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