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Topographie: Diskussion über „Hitlers Charisma“

Wie konnte eine so mittelmäßig begabte, ungebildete und bindungsunfähige Person wie Adolf Hitler zu solch einem bejubelten „Führer“ werden? Dies ist eine Grundfrage der NS-Forschung von Anfang an. Unzählige Bücher sind dazu geschrieben worden.

Lautet die Frage, ob Hitler Charisma besaß, kommen die Kategorien Max Webers ins Spiel. Genau auf diesem Wege nähert sich der HU-Emeritus Ludolf Herbst dem Problem von „Hitlers Charisma“. So der Titel seines in dieser Woche erschienenen Buches, das am Mittwochabend in der Topographie des Terrors vorgestellt wurde – von Hans Mommsen, selbst profilierter NS-Forscher. Der Untertitel „Die Erfindung eines deutschen Messias“ enthält die Kernthese, nämlich dass Hitlers Rolle als Heilsbringer eine „Erfindung früher Gesinnungsgenossen“ war, wie Mommsen zuspitzte, „sein Charisma Legende“.

Herbsts Buch steht quer zu gleich mehreren Positionen der NS-Forschung: gegen Ian Kershaw, der den rasanten Aufstieg der NSDAP seit Anfang 1929 eben auf Hitlers Wirkung zurückführt, gegen Hans-Ulrich Wehler, der Verblendung der Öffentlichkeit und kritiklose Zustimmung zum „Führer“ unterstellt, und lediglich bei der von Götz Aly herausgearbeiteten materiellen Komplizenschaft der Bevölkerung mit dem Regime unter dem Stichwort der „Wohlfühldiktatur“ hielt Herbst sich bedeckt.

Martin Broszat hingegen, der in „Der Staat Hitlers“ von 1969 den Zerfall staatlicher Normen und Institutionen konstatiert, bleibt gleichfalls nicht unwidersprochen: „Natürlich war Deutschland ein hochdifferenziertes, rational-bürokratisches System“, betonte Herbst in der von dem Dresdner Kollegen Klaus-Dietmar Henke souverän geleiteten Diskussion, „da konnte Charisma gar nicht funktionieren!“ Sich Max Weber anschließend betont Herbst das von den Kollegen seiner Ansicht nach vernachlässigte Problem der „Veralltäglichung des Charismas“.

Nach kritischen Anmerkungen aus dem vollbesetzten Saal im neuen Haus der Topographie allerdings schränkte er ein, sich mit seinem Buch vornehmlich auf die Zeit des parteiinternen Aufstiegs Hitlers vor 1924 und die Konflikte innerhalb der NSDAP zu beziehen. Das Charisma Hitlers sei inszeniert gewesen, für die Aufrechterhaltung des Glaubens daran habe es eines „ausgefeilten bürokratischen Apparates“ bedurft. Zwischen Bürokratie und Charisma, so heißt es denn auch im Buch, gab es „ganz erhebliche wechselseitige Synergieeffekte“. Worauf Herbst zielt, hat bereits der von ihm zitierte Bertolt Brecht über Hitlers Auftreten bemerkt: „Das ist sehr interessantes Theater.“

Ludolf Herbst, Hitlers Charisma. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 330 S., 22,95 €.

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