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Kultur: Tor der Erinnerung: zu Staub zerrieben und verstreut

Wahrzeichen sind eigentlich unsichtbar. Man hat sich so sehr an sie gewöhnt, dass ihre Anwesenheit überflüssig geworden ist.

Wahrzeichen sind eigentlich unsichtbar. Man hat sich so sehr an sie gewöhnt, dass ihre Anwesenheit überflüssig geworden ist. Der Konzeptkünstler Horst Hoheisel hat vor neun Jahren beim Wettbewerb für das Berliner HolocaustMahnmal einen radikalen Vorschlag gemacht: Er wollte das Brandenburger Tor zu Staub zermahlen und den Staub auf dem Denkmalgelände ausstreuen. Die Zerstörung des steinernen Nationalsymbols wäre ein barbarischer Akt, der für einen ungleich größeren Barbarismus stünde: die Ermordung der Juden Europas. Das eigentliche Denkmal, so Hoheisel, wäre das Aushalten der beiden leeren Orte.

Bekanntlich hat Peter Eisenman den Wettbewerb gewonnen. Seine Betonstelen werden von diesem Sommer an auf dem Mahnmalgelände aufragen. Im Jüdischen Museum ist jetzt Hoheisels Idee verwirklicht worden: als Videoinstallation. Zwischen den Streben eines rund vier Meter hohen Stahlgerüsts hängt ein riesiger Faltenbalg, wie man ihn von alten Fotokameras kennt. Am Fuß des Balgs kann man in die Medienapparatur hineinschlüpfen. „Betreten Sie die schwarze Kamera“, fordert ein Hinweis auf einem Schild. „Die Bilder bewegen sich über Ihrem Kopf, das Denk-mal vielleicht in Ihnen.“ Zu sehen ist das Brandenburger Tor, genauer gesagt: ein paar Reste des Brandenburger Tors. Von den Säulen sind bloß Stümpfe übrig. Das Video, das in einer Endlosschleife rotiert, ist von einer Verkehrsinsel auf der Straße des 17. Juni aus aufgenommen worden. Der Verkehr tost, Jogger hasten vorbei, Touristen bleiben stehen, gehen in die Knie, fotografieren und werden fotografiert. Hoheisel, dessen Arbeiten derzeit auch im Haus der Commerzbank am Pariser Platz zu sehen sind, hat sich lange mit dem Brandenburger Tor beschäftigt. 1997 hat er am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, ein Dia des Lagertors von Auschwitz mit der berüchtigten Inschrift „Arbeit Macht Frei“ auf das Brandenburger Tor projiziert. Wer davor steht, so die Botschaft, sollte die anderen Tore der deutschen Geschichte nicht vergessen: Treblinka, Majdanek, Stutthof, Sobibor, Kulmhof, Belcec, Auschwitz. (chs) Foto: Jüdisches Museum

Jüdisches Museum, bis 22.6., tägl. 10-20 Uhr. „Fluchtweg: Brandenburger Tor“, bis 30.4. im Haus der Commerzbank, Mo-Fr 10-17 Uhr.

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