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Tor Ulvens „Dunkelheit am Ende des Tunnels“: Verriegelte Welt

Tor Ulvens „Dunkelheit am Ende des Tunnels“.

Manche Kunstwerke lassen sich nur vom Ende, von der Seite des Todes aus betrachten. Man würde beispielsweise das Joy-Division-Album „Closer“ mit einem anderem Gefühl anhören, wenn man nicht wüsste, dass Ian Curtis sich wenige Tage vor dem Erscheinen umgebracht hätte. Ähnlich verhält es sich mit Tor Ulvens Buch „Dunkelheit am Ende des Tunnels“, für das der Verlag die Gattungsbezeichnung „Geschichten“ gefunden hat. Irgend etwas muss man ja draufschreiben. Es ist nicht nur die erste Übersetzung des Norwegers Ulven ins Deutsche; es ist gleichzeitig auch das letzte Werk, das er veröffentlicht hat. Im Mai 1995 beging Tor Ulven im Alter von 41 Jahren Selbstmord.

Vor diesem Hintergrund liest sich der letzte Text dieses durch und durch dunklen Buches wie ein poetologisches Autodafé: „Ungeschrieben“, so ist das Stück betitelt, das mit dem Satz endet: „Demnach ist es also leichter, ganz einfach zu sagen, dass ich nie existiert habe, nicht existiere und nie existieren werde.“ Verschlossen ist Ulvens Sprache, abgeriegelt gegen jegliche Form von Welt, die sich außerhalb der Enge des eigenen Zimmers, des eigenen Kopfes abspielt. Beinahe jedenfalls. In der ersten Erzählung blickt ein Schlafloser durch sein Fenster in die Bar auf der gegenüberliegenden Seite; von dieser Perspektive springt Ulven in die Gedanken der einzelnen Beteiligten, des Barmannes, der mit dem Schicksal seines Berufes hadert, des Pärchens, das sich nur wenig zu sagen hat, des verzweifelten, einsamen Trinkers. Das ist sehr gut gemacht, aber bereits das Höchstmaß an Offenheit und Weite, das Ulven sich gestattet. Ansonsten ist das Ambiente geradezu klaustrophobisch eng, saugt die Erzählstimme sich fest an einem Mikrokosmos aus Erinnerungs- und Dingwelt.

Das entwickelt auf der kurzen Strecke einen beachtlichen sprachlichen Sog. In der Geschichte „Das Meer“ glaubt der Erzähler, „dass ich mich an mehr Dinge erinnere, die nicht stattfanden, aus denen nie etwas wurde, als an Ereignisse, die sich in ihrer vollen Pracht entfalteten.“ Nach dem assoziativen Prinzip des scheinbar zufällig an die Oberfläche schießenden Materials, das sich im Bewusstsein abgelagert hat, funktioniert „Dunkelheit am Ende des Tunnels“. Immerhin, das Buch existiert. Christoph Schröder

Tor Ulven:

Dunkelheit am Ende des Tunnels. Geschichten. Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel. Droschl

Verlag, Graz/Wien 2012. 134 Seiten, 19 €.

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