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 Izumi Aoyagi, Mari Ando und Yo Yoshida in „Time's Journey Through a Room“.

© Masumi Kawamura

Toshiki Okada im HAU: Wenn ein Rückzug zum Neubeginn wird

Können Erdbeben die Welt wirklich verbessern? In Toshiki Okadas Inszenierung „Time’s Journey Through a Room“ im HAU geht es um Hoffnung, Verlust und Erinnerung.

Als 2012 die „Große Weltausstellung“ auf dem Tempelhofer Feld eröffnet wurde, war daran auch der japanische Künstler Toshiki Okada beteiligt. Er hatte seinen eigenen Pavillon in diesem Performance-Parcours, mit dem Matthias Lilienthal seinen Abschied vom HAU feierte. Damals war gerade ein Jahr vergangen seit der Katastrophe von Fukushima. Entsprechend ließ Okada Schauspieler in gelben Strahlenschutzanzügen herumlaufen und den Zuschauern absurde Sicherheitsinstruktionen geben. Kein schlechter Gedanke, aber man merkte auch: Die Ereignisse sind noch zu frisch, längst nicht im Echoraum der Erfahrung angekommen. Das Subtile, die Zwischentöne, die Vermeidungsrede – also alles, was sonst die Arbeiten des Regisseurs und seiner Gruppe chelfitsch auszeichnet – vermisste man doch sehr.

Mittlerweile ist das verheerende Beben vor der japanischen Küste fast wieder aus dem Weltgedächtnis verschwunden, überschrieben von neuen Katastrophen und Krisen. In Okadas Schaffen bleibt dieser gesellschaftliche Bruchpunkt aber präsent – mit all seinen politischen und persönlichen Spätfolgen. Und es ist genug Zeit vergangen, um vom unmittelbaren Schock und der Zukunftsangst zu einer Betrachtung zu gelangen.

Durch Japans Gesellschaft verläuft ein Riss

In der jüngsten Arbeit des längst international gefragten Theatermachers – „Time's Journey Through a Room“ betitelt – begegnet sich ein junges Paar auf schlichter, abstrakt gehaltener Bühne. Er hört überwiegend zu. Sie sinniert über das Glücksgefühl, das sich schon kurz nach der Katastrophe bei ihr einstellte: „Ich bin so froh für uns, dass es das Erdbeben gab“. Dabei sagt sie das nicht aus morbider Lust am Desaster. Sondern weil mit dem fatalen Weckruf auch die Hoffnung auf Veränderung verbunden war. Darauf, dass „die ganze Welt sich verbessern würde“.

Eine Hoffnung nebenbei, der auch Toshiki Okada in Interviews oft Ausdruck gegeben hat. Die japanische Gesellschaft, vielfach erstarrt in falscher Höflichkeit und blinder Gefolgschaft, hätte sich nach den Ereignissen des Jahres 2012 hinterfragen und neu formieren können. Indes zeichnet sich immer deutlicher ab, dass diese Hoffnung eine trügerische war. Okada sprach auch früh von dem Riss, der durch seine Heimat verläuft – zwischen denen, die einfach weiterleben wollen, als wäre nichts geschehen. Und den anderen, denen das unmöglich ist.

Ein leises, melancholisches Kammerspiel

Freilich lässt sich Okadas „Time's Journey Through a Room“ nicht auf eine lineare politische Lesart reduzieren. Zunehmend schleichen sich überhaupt Irritationen ein. Der Mann, der da meist mit dem Rücken zum Zuschauer am Tisch sitzt, hat sich noch eine weitere Frau eingeladen – und sie gebeten, seine neue Freundin zu werden. Erst allmählich erzählt sich, dass die frühere Freundin, die so optimistisch in die Zukunft blickte, schon kurz nach dem Erdbeben gestorben ist. Sie bleibt dennoch anwesend, als Geist, Gesprächspartnerin, Geliebte.

So wird Okadas Arbeit auf einer persönlichen Ebene zugänglich als leises, melancholisches Kammerspiel über den Verlust. Über die Zeit, die vergehen muss, bis man einen Schnitt durchs Leben wirklich versteht. Über die Erinnerung, die einem bleibt und der ja auch nicht zu trauen ist. „Weißt du noch?“, „Erinnerst du dich?“, das sind häufige Sätze in diesem Stück. Schließlich über die Veränderungen, denen man ausgesetzt ist und nach denen man auch sucht. „Mein ganzes Leben lang verändere ich mich“, lautet ein so schöner wie schlichter Satz, den der Mann einmal sagt.

Die Geschichte bleibt in der Schwebe

„Time's Journey Through a Room“ – hinreißend minimalistisch von Izumi Aoyagi, Mari Ando und Yo Yoshida gespielt – fällt auf denkbar Weise aus dem Rahmen der bisherigen Inszenierungen Okadas. Die waren meist durchzogen von einem absurden Humor, gefielen mit ihren schrägen, immer ein bisschen verrutscht wirkenden Choreografien, hatten oft ein klares Thema – wie zuletzt „God bless Baseball“. Diesmal lässt der Regisseur, stärker noch als im entfernt geistesverwandten Stück „Ground and Floor“, seine Geschichte in der Schwebe.

Sie spielt in einem stillen Zimmer, „in das nur wenige Geräusche vordringen“, wie es einmal heißt. Ein Ort des Rückzugs. Oder des Neubeginns, je nach Sichtweise.
noch einmal am 3.11., 19 Uhr HAU 3

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