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Kultur: Towarischtsch Wilhelm

Bernhard Schulz über deutsch-russische Bündnisse

Putin und Schröder, Gasprom und Schalke, Gorbatschow und Kohl, aber auch Stalin und Hitler und, weiter zurück: Lenin und Kaiser Wilhelm. Die Liste deutsch-russischer Zweckverbündeter ist lang und umspannt das ganze vergangene Jahrhundert. Das ist nicht neu, und auch die „Spiegel“-Titelgeschichte dieser Woche „Wie Kaiser Wilhelm II. Lenins Oktoberrevolution finanzierte“ kann lediglich die Details der Geldzahlungen hinzufügen. Aber das Verhältnis der beiden Mächte, ihrer Völker und Lenker bleibt so rätselhaft wie faszinierend. Lassen wir dahingestellt sein, was der „Spiegel“ in gewohnt kühner Diktion spekuliert: „Vermutlich wäre keine Sowjetunion entstanden, den Aufstieg des Kommunismus hätte es dann nicht gegeben.“ Denn in den chaotischen Monaten des Jahres 1917 wäre alles möglich gewesen, auch, den Staatsstreich der Bolschewiki zu verhindern – immerhin flüchtete Lenin im Juli 1917 überstürzt aus Petrograd, nur drei Monate, nachdem er vom deutschen Militär ins Zarenreich geschleust worden war. Kein „Spiegel“ würde heute mehr nach den Millionenzahlungen für die Revolutionäre krähen, wäre Lenin damals kläglich gescheitert.

Hätte, wäre, wenn. Im Fall der zur „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ verklärten Machtergreifung des Herbstes 1917 hat sich die Geschichte nun einmal im Sinne Lenins ereignet. Wilhelm II. hatte damit nicht viel zu tun. Es war die Oberste Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff, die Russland als Kriegsgegner ausschalten wollte. Insgesamt nicht neu, aber immer wieder aufregend. Weil es die ebenso aufregende wie bange Frage einschließt, wie es weitergehen wird mit dem eigentümlichen Verhältnis von Deutschen und Russen.

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