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Kultur: Träume haben hier lange Beine - aber die Verantwortlichen müssten es einmal ernst meinen mit ihren Plänen

Seit etwa anderthalb Jahren ist der Österreicher Gerhard Brunner mit der Neuordnung der Berliner Ballettsituation betraut. Als "Berlin Ballett" sollen die Tanzensembles der drei Opernhäuser unter einem gemeinsamen Management zusammengefasst und mit eigenen, von den Intendanzen der Häuser unabhängigen Budget ausgestattet werden.

Seit etwa anderthalb Jahren ist der Österreicher Gerhard Brunner mit der Neuordnung der Berliner Ballettsituation betraut. Als "Berlin Ballett" sollen die Tanzensembles der drei Opernhäuser unter einem gemeinsamen Management zusammengefasst und mit eigenen, von den Intendanzen der Häuser unabhängigen Budget ausgestattet werden. Dahinter steckte zunächst ein einschneidender Sparbeschluß von nicht weniger als sechzig Tänzerstellen - eine schmerzhafte Kürzung, die als positive Neuerung ausgegeben wird. Andererseits tut Erneuerung wahrlich not, und Gerhard Brunner ist mit seinem Konzept auf dem richtigen Weg. Problematisch aber ist die Langfristigkeit des Unternehmens.

Einzig die Komische Oper erhält mit Richard Wherlock zum Beginn der kommenden Spielzeit einen neuen Choreographen. Der erfüllt immerhin mit einer Premierenankündigung wie "La Fille mal gardée" eine alte Forderung von Opernintendant Albert Kost, traditionsreiche Stoffe in neuem Gewand zu zeigen. Wo Marc Jonkers zuvor mit seiner Öffnungspolitik in Richtung zeitgenössisches Repertoire nicht gerade auf Gegenliebe beim Publikum stieß, bahnt sich hier vielleicht eine dauerhafte Ehe an.

Schwieriger schon ist die Situation an der Deutschen Oper. Hier ist der Neubeginn an das Ende der Amtszeit von Intendant Götz Friedrich gebunden. Erst ab 2001 kann der neue Ballettchef seine Arbeit beginnen. Dabei hinterläßt der scheidende Direktor Richard Cragun, obwohl nicht sondernlich glückhaft in der Welt seiner Gastchoreographen, zumindest ein Ensemble auf hohem tänzerischen Niveau. Eine Interimszeit von zwei Jahren wird nicht unbedingt zur Stabilisierung der Situation beitragen. Schon machen sich erste Korrosionserscheinungen bemerkbar. Mit dem Ende dieser Spielzeit wechseln einige der besten Tänzer in andere Engagements. Ein schwer auszugleichender Verlust. Auch bleibt die Frage, mit welchem Repertoire die Deutsche Oper einen solch langen Zeitraum ohne Publikumseinbußen überbrücken will.

Problematisch ist die Situation an der Staatsoper. Hier sperrt sich das Haus gegen einen Anschluß an das "Berlin Ballett". Statt dessen überrascht Intendant Georg Quander mit eigenen Vorschlägen - wie etwa dem, Patrice Bart zu Ballettchef zu küren. Das setzte nur jene unglückliche Linie fort, die mit Maurice Béjart begann und mit Gastchoreographen wie Bart und David Sutherland ihre bisherigen Tiefpunkte erreichte. Das leistungsstarke und sympathische Ensemble hat wahrlich bessere Choreographen und größere Herausforderungen verdient. Hier braucht wohl Brunner mehr Rückendeckung seitens der Kulturpolitik, wenn sein Werk im Zeitplan bleiben soll.

Auch personell befindet sich das Unternehmen "Berlin Ballett" in einer Klärungsphase. Neben Wherlock hat Brunner den Franzosen Angelin Preljocaj als weitereren Ballettdirektor vorgestellt. Als Dritter im Bunde wird neuerdings Lin Hwai-min genannt. Am 13. August wird er mit seinem Cloud Gate Dance Theatre aus Taipeh sein Stück "Moon Water" an der Deutschen Oper vorstellen - unter dem Label "Berlin Ballett". Die Frage ist jedoch, ob nicht ein gestandener klassischer Moderner wie Heinz Spoerli eher zur Stabilisierung beitragen würde. Sein - ebenfalls an der Deutschen Oper - vorgestellter "Sommernachtstraum" traf jedenfalls auf Zustimmung und - angesichts der derzeitigen Publikumsprobleme keineswegs zu verachten - auf ein volles Haus.

Denn unschwer ist zu erkennen, dass der Tanzpolitik an der Jahrhundertschwelle neue Aufgaben zukommt. Nach den Boomjahren in den Siebzigern und Achtzigern, in denen neuen Pioniere ihre bahnbrechende Arbeit etablieren konnten, ist jetzt eine Zeit der Verfestigung und Sicherung des Erreichten angebrochen. So ist auch die mögliche Wiedereröffnung des Schillertheaters als Tanzhaus genau zu bedenken. Die Idee, das Haus als Verwaltungssitz des "Berlin Balletts" sowie als Gastspielbühne für die Festspiele und das Interntionale Tanzfest "Tanz im August" zu nutzen, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Auf dem Weg zur europäischen Metropole wird ein solch großes Forum dringend gebraucht. Wie jedoch die Berliner Freie Szene in ein solches Konzept eingebunden werden kann, ist offen.

Eine wichtige Chance hat der Senat bei der Neubestimmung der Förderrichtlinien verpasst. Die Beibehaltung des Beiratsmodells ist kaum einzusehen. Dagegen wäre eine Etablierung von drei unterschiedlich großen Produktionsorten mit eigener künstlerischer Leitung gewiß dienlicher gewesen. Denn junge Choreographen brauchen neben finanzellen Mitteln vor allem kompetenten Rat und künstlerische Rückendeckung.Weder das eine noch das andere aber können Gremien, wie immer sie besetzt sein mögen, schwerlich gewähren.

Mit dem Wiederaufflammen der Tanzhaus-Idee ergibt sich erneut die Möglichkeit, die verschiedenen Ebenen miteinander zu vernetzen. Denn so wichtig eine Neuordnung der Ballettsituation ist, so nötig muß die Entwicklung des Nachwuchses hingedacht werden. Einer Abspaltung der Freien Szene jedenfalls gilt es vorzubeugen. Denn nur im Zusammenspiel der unterschiedlichen Kräfte entwickelt sich eine lebendige, tragfähige Tanzszene.

In diesem Zusammenhang muß auch die Situation an der Akademie der Künste neu bedacht werden. Nachdem sich das Haus unter der Präsientschaft von Walter Jens aus dem Tanz verabschiedet hat, fehlen nun schlicht die finanziellen Mittel. Dabei hat sich die Akademie einmal mit ihren Tanzprogrammen einen internationalen Ruf erworben. Darüber hinaus bietet sie in ihrem Saal mit rund 400 Sitzplätzen genau jenes Forum mittlerer Größe, das in der Staffelung von Spielorten derzeit fehlt. Warum also nicht das Haus in die strukturellen Überlegungen mit einbeziehen?

Wie keine andere deutsche Stadt verfügt Berlin über eine geradezu ideale Infrastruktur an möglichen Spielorten. Und noch immer reichen die Budgets aus. In der europäische Tanzmetropole Berlin könnten die drei Ensembles des "Berlin Balletts" als Flaggschiff fungieren. Hebbel-Theater und Festspiele - mit dem zusätzlichen Spielort Schillertheater - würden nach wie vor für eine kontinuierliche Begegnung mit internationalen Tendenzen sorgen. Und die Spielorte mit 100, 250 und 400 Plätzen schließlich sollten der Freien Szene sorgsam begleitete Entwicklungschancen bieten. Ein Traum wäre das, vielleicht zu schön, um wahr zu sein - aber doch zum Greifen nah.

Norbert Servos

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