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Kultur: Träume unter Trümmern

Vergessener Widerstand: „Edelweißpiraten“ erzählt von jugendlichen NS-Gegnern

Wer jung ist, hat einen anderen Blick auf die Erwachsenenwelt. Die falschen Töne, die Anmaßungen der Älteren fallen schärfer in das Auge, das noch nicht getrübt ist durch Gewöhnung und Tradition. Sollte das bei denen, die in den letzten Jahren des Dritten Reichs jung waren, anders gewesen sein? Nur die andere Seite der Traditionsloigkeit der Jugend kennt man allzu gut: ihre Verführbarkeit, die sie zu Hitlers letztem Aufgebot machte, zu halbwüchsigen SS-Männern, minderjährigen Volksstürmern, zu Kindern, die vor Eifer ihre Eltern verrieten. Diesen jungen Uralten schien in der Tat ein Gen zu fehlen, das 68er-Jugend-Gen gewissermaßen, das Gen des Misstrauens in die Erwachsenen-Welt. Auch wenn die 68er meinten, es zuerst entdeckt zu haben – jede Jugend hat es, und dieser Film zeigt: Sogar die VierzigerJahre-Jugend besaß es.

Sie nannten sich „Edelweißpiraten“, sie waren keine Hans oder Sophie Scholls, sie waren keine „Rote Kapelle“, sie waren überhaupt nur sehr bedingt Widerstand. Obwohl schon mal der Plan entstehen konnte, die Gestapo-Zentrale von Köln in die Luft zu sprengen. Vor allem aber wollten sie, was jede Jugend will: ganz anders sein als all die anderen. Anders als die HJ. Die Arbeiterjugend ertrug es schwer, wenn ihnen plötzlich Oberschüler als neue HJ-Führer vorgestellt wurden. Ein Schüler mit Befehlsgewalt, das widersprach ihrem Sinn für natürliche Rangfolge. Außerdem besaß der Arbeiter (wie später auch in der DDR) ein Gefühl (eine Illusion) seiner unbegrenzten Würde und Freiheit, die ihn strukturell untauglich für militärische Hierarchien machte. Das alles gehört zur bis heute fast unbekannten Geschichte der Edelweißpiraten und es gehört zur Vorgeschichte dieses Films.

Bezeichnenderweise erfuhr Regisseur Niko von Glasow aus Köln erst in Hollywood von den Kölner Edelweißpiraten. Eine Filmkritik sollte wohl spätestens jetzt zum Film kommen, aber zwei Sätze Theorie sind noch wichtig: Die Edelweißpiraten waren die eigentlichen Kinder des NS-Regimes. Kinder, die nichts anderes kannten als Hitler, sie waren „Hoffnung und Zukunft der Bewegung“. Eine vergebliche Hoffnung, lässt sich sagen. Und zugleich sprengen die über viele Städte verbreiteten Edelweißpiraten die bis heute gängige, abstrakt-naive Unterscheidung von Anpassung und Widerstand und nichts dazwischen.

In Niko und Kiki von Glasows Film wohnen die jungen James Deans beiderlei Geschlechts in Köln-Ehrenfeld oder eher dort, wo einmal Köln-Ehrenfeld war. In, unter und über den Trümmern. Die Trümmer waren ihre heile Welt, die Trümmer machten den, den sie schützten, tendenziell unauffindbar. Auch wenn die Fürsorge immer wieder den Weg zu Cilly (Anna Thalbach) und ihren beiden Kindern findet. Die Mutter ist noch sehr jung, der Vater gefallen – ein klarer Fall für die Fürsorge, urteilt das Amt. Karl, der jüngere Bruder des Gefallenen, sieht auf Cilly mit schweren, träumenden Augen. Warum nimmt sie nicht ihn, er ist doch der Bruder?

Der Russe Iwan Stebunow ist Karl, er hat ein so schönes dunkel-sanftes Gesicht, dass er eher Tonio Kröger spielen könnte als einen leicht verwilderten Proletarierjungen. Vielleicht hätte er den halb toten KZ-Häftling doch nicht retten sollen, denn jetzt kommt der Cilly viel zu nahe. Der Film „Edelweißpiraten“ hat eine Kameraführung, die auf akuten Schüttelfrost des Handkameramanns schließen lässt oder schwere Trunkenheit.

Das ist ästhetisch oft nicht ganz reizlos, aber nie so gut in der Geschichte motiviert wie bei guten Wackelkamerafilmen. Es gibt denn auch eine mehr statische Erklärung dieser Eigenart: Niko von Glasow findet, dass die meisten Filme, die von der NS-Zeit handeln, deren Ästhetik verfallen. Um das auszuschließen, hat sich Glasow auch noch am deutschen Expressionismus orientiert und mit dessen Schreifarben seinen Film coloriert. Am Ende weiß man ein ganzes, wichtiges Stück mehr über deutsche Geschichte, nur nicht so richtig, was man von diesem Film halten soll.

In Berlin in den Kinos Babylon Mitte, Broadway, Cinemaxx Potsdamer Platz, UCI Kinowelt am Eastgate

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