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Kultur: "Translated Acts": Der nackte Schein

Das Bild versteht man sofort: eine männliche Schaufensterpuppe, bemalt mit chinesischen Schriftzeichen, wird von einem Schwein mit lateinischen Buchstaben auf der Haut begattet. Eine Deutung von Xu Bings "Cultural Animal" liefert die koreanische Kuratorin Yu Yeon Kim dennoch: "Die westliche Kunstgeschichte ist in ihrem Verhältnis zu nicht-europäischen Kulturen nachhaltig gescheitert und neigt eindeutig zu Fehlübertragung, Fehlinterpretation und Verunglimpfung der Kunst aus Asien, Afrika, dem Nahen Osten und Südamerika.

Das Bild versteht man sofort: eine männliche Schaufensterpuppe, bemalt mit chinesischen Schriftzeichen, wird von einem Schwein mit lateinischen Buchstaben auf der Haut begattet. Eine Deutung von Xu Bings "Cultural Animal" liefert die koreanische Kuratorin Yu Yeon Kim dennoch: "Die westliche Kunstgeschichte ist in ihrem Verhältnis zu nicht-europäischen Kulturen nachhaltig gescheitert und neigt eindeutig zu Fehlübertragung, Fehlinterpretation und Verunglimpfung der Kunst aus Asien, Afrika, dem Nahen Osten und Südamerika."

Wenn Kulturen aufeinander prallen, lässt sich der Westen, das Schwein, dafür nicht selten die Rechnung präsentieren. "Translated Acts" steht im Berliner Haus der Kulturen der Welt auf der Rechnung, und der Titel verspricht eine ästhetische Grammatik für die Kunst Ostasiens zu liefern - als einer authentischen, un-westlichen oder gar anti-westlichen Kraft. Doch die in Berlin mit gewaltigem Werbeaufwand und vielen jungen nackten Menschen lockende "Körper- und Performance-Kunst aus Ostasien", mit Künstlern aus Korea, China, Japan und Taiwan, fällt viel versöhnlicher aus, als es Bings koloniales Sex-Schwein noch vermuten ließ.

Von Abrechnung ist nicht viel zu sehen, sondern von Abgrenzung. Das zeigt besonders eine Performance des Chinesen Ma Liuming, die in der Ausstellung als Videoaufzeichnung zu sehen ist. Liuming hatte sich nackt vor eine Kamera gesetzt und in verschiedenen Ländern die Besucher aufgefordert, sich mit ihm fotografieren zu lassen. "Betätigen Sie den Selbstauslöser an der Kamera, Sie haben dann etwa 5 Sekunden Zeit, Ihr Bild zu arrangieren." Verschämt setzt sich in Deutschland der eine oder andere neben den nackten Künstler. Ganz anders das Video von der Performance in Indonesien: Frauen umarmen Liuming, ein Mann legt seinen Kopf in dessen nackten Schoß, ein anderer lässt selbst die Hosen fallen. All das Ausdruck, so die Kuratorin, eines gelasseneren Umgangs mit dem Fremden; in Indonesien spielen die Besucher mit dem Geschlecht des Künstlers, in Münster legt eine Frau ihren Hut auf den entblößten Schritt.

Ostasien sei, sagt Kim, die "Translated Acts" als Gastkuratorin konzipiert hat, im Gegensatz zum hierarchischen westlichen Denken von zyklischen Philosophien geprägt, von der Vorstellung einer kontinuierlichen Veränderung. In der Endlosschleife von Gong Xin Wangs Videoinstallation verwandelt sich ein Gesicht zum Meer und zurück in ein Gesicht - Ausdruck des buddhistischen Rads des Lebens.

Doch in Wahrheit geht es der Kuratorin um den innerasiatischen Prozess. Nicht Übersetzungsarbeit zwischen Kulturen soll geleistet werden - das mag die politische Botschaft der Ausstellung sein. Kim aber will ein Ostasien zeigen, in dem sich gesellschaftlicher Protest, soziale Vernetzung und Geschlechteridentität wechselweise als mediale Körperperformance ausdrücken lassen. Auch hierbei präsentiert die Ausstellung ein ästhetisches Rückzugsgefecht: Der Rekurs auf den Körper in Zeiten einer Hightech-Cyber-Welt kommt dem wärmenden Griff auf das Vertraute gleich. Der Körper, übermalt, tätowiert und gequält in den Fotos Qiu Zhijes, zerstückelt bei Chieh-Jen Chen, bleibt immer das verfügbare Objekt. Das Vordringen des Körpers in den vernetzten Raum will die Ausstellung präsentieren, stattdessen preist Atta Kims auf drei Großleinwänden harmonisch kopulierendes Paar ein sympathisch antiquiert wirkendes Gegenmodell: Sex als Widerstand gegen die mediale Globalisierung. Ein Akt, der nicht transformiert, sondern zurückverweist. Als genetische Maschine, die der Körper längst geworden ist, kommt er nicht vor.

Das Beharren auf Differenz ist ein eleganter Schwindel, vielleicht sogar ein geschicktes Label. Die Wahrnehmung des Körpers "im Kontext der zunehmend urbanisierten und technologisierten Gesellschaften" ist natürlich kein ostasiatisches Phänomen. Mariko Moris digitalisierte Klonung ihrer selbst an bekannten Plätzen in London, Tokio und New York mag ein Verweis auf schintoistische Reinkarnationsvorstellungen darstellen - vor allem ist es ein Bild für die globale Gleichzeitigkeit.

Eine Allgegenwart, für die nicht zuletzt auch die Kuratorin selbst steht. Kim gehört wie die ehemalige Documenta-Chefin Catherine David zu einer kleinen Gruppe weltweit tätiger Kuratoren. Sie wohnt in New York und hat zuletzt Ausstellungen in Johannesburg und Mexiko-City konzipiert. Sie selbst verkörpert einen vernetzten Kunstbetrieb, der zunehmend von den zerrissenen Identitäten einzelner Star-Kuratoren lebt.

"Translated Acts" ist der erste Akt eines Triptychons nicht-westlicher Kunst, der nach Berlin kommt. Zwei ähnlich umworbene Gastkuratoren, Salah Hassan und Okwui Enwezor, der für die documenta 2002 verantwortlich zeichnet, werden dann ihre eigenen Rechnungen präsentieren. Mit Südamerika und Afrika.

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