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Mimikry. Künstlerin Heather Dewey-Hagborg hat das Gesicht von Chelsea Manning „vervielfacht“.

© Paula Abreu Pia/Transmediale

Transmediale 2018 in Berlin: Zwei Klicks weiter Hass

Was drauf steht, ist schon lange nicht mehr drin: Die Transmediale in Berlin diskutiert die digitale Kultur.

30 Gesichter hängen von der Decke. Jedes ist das in Silikon gegossene Antlitz der Whistleblowerin Chelsea Manning. Mal hat sie blaue Augen, dann wieder braune, auch unterscheidet sich die Form der Nase, die Farbe der Brauen. Die auf Biohacking spezialisierte Künstlerin Heather Dewey-Hagborg hat für dieses Projekt, das bei der Transmediale im Haus der Kulturen der Welt präsentiert wird, mit der in den USA verurteilten Whistleblowerin Chelsea Manning kooperiert.

Manning sandte der Künstlerin aus dem Gefängnis Haare und andere DNA-Proben von sich zu. Die Künstlerin analysierte das genetische Material und leitete daraus die äußeren Merkmale ihrer Spenderin ab. Die verschiedenen Porträts zeigen, wie viel Interpretationsspielraum in den angeblich so charakteristischen genetischen Informationen steckt. Manning, von der es nach ihrer Wandlung vom Mann zur Frau zunächst keine Fotos mehr in der Öffentlichkeit gab, bekam durch diese Aktion wieder Sichtbarkeit – und als Besucher wird man darauf aufmerksam gemacht, das Biometrie und moderne Sicherheitstechnik so etwas wie eine flexible Geschlechteridentität nicht vorsehen.

„Face Value“ lautet das Thema der diesjährigen Transmediale, Berlins renommiertem Festival für digitale Kultur. „Face value“ steht für den Nominalwert einer Währung, für „bare Münze“, das was drauf steht, ist auch drin. Und man darf sagen: Damit haben wir im Moment enorme Schwierigkeiten. Nachrichten in den sozialen Medien dienen eigentlich nur zur Generierung wertvoller Nutzerdaten. Und selbst Informationen, die Politiker höchstpersönlich posten, sollte man nicht unbedingt für bare Münze nehmen.

Die diesjährige Ausgabe soll politscher werden

Das Thema hätten er und sein Team schon seit 2016 entwickelt, sagt Kristoffer Gansing, künstlerischer Leiter des Festivals. Die Transmediale feierte im vergangenen Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum, man nahm sich Zeit für eine Bestandsaufnahme. Die diesjährige Ausgabe soll wieder politischer werden. „Von Brexit bis Trump gab es in den letzten Jahren viele politische Veränderungen auf die wir reagieren möchten“, sagt Gansing.

Face Value ist eigentlich ein Begriff aus der Wirtschaft. Die Transmediale will den Bogen aber weiter spannen. Nicht nur in der Geldpolitik wird gewertet und entwertet, in Zeiten des Neoliberalismus hat alles seinen Wert. Und mithilfe der populistischen und fremdenfeindlichen Rhetorik, die derzeit in der Gesellschaft und in den digitalen Medien auf dem Vormarsch ist, wird alles beurteilt: der Wert eines Gesichts, einer Nation, einer Rasse, eines Geschlechts. Dabei kommen Tautologien, Vereinfachungen, Trolle und Memes zum Einsatz. Der Transmediale geht es also nicht nur um das diskriminierende Potenzial von technischen Systemen, sondern auch um die Sprache, die wir als Menschen verwenden.

An fünf Festivaltagen gibt es ein Konferenzprogramm, Filme, Workshops und Ausstellungen. Vor allem bei den Konferenzen will man den Dingen auf den Grund gehen und keinesfalls vereinfachen. Das hat die Transmediale stets praktiziert. Die Konferenz war immer anspruchsvoll, hat auf hohem Niveau diskutiert. Angesichts der aktuellen medialen Oberflächlichkeitstendenzen bekommt das eine ganz neue Bedeutung. Eingeladen sind Wissenschaftler, Künstler und Philosophen, von denen sich viele mit der Selbstermächtigung von Minderheiten beschäftigen. „Black radical thought“, „Critical-Race“, feministische Theorie und Dekolonialisierung lauten die Stichworte.

Der Medienaktivist Alex Foti ist auch zu Gast

Zu Gast ist auch der italienische Medienaktivist Alex Foti, der in seinen Büchern dafür plädiert, dass die wachsende Zahl der prekär Beschäftigten, der Freiberufler und Angestellten mit befristeten Verträgen sich radikal organisiert und auf europäischer Ebene für ihre sozialen Rechte kämpft. Foti wird in einem Panel die vielen Gesichter aktueller faschistischer Bewegungen und die Möglichkeit eines „schwachen Widerstands“ der Machtlosen erörtern. Auch die Transmediale, die ja schon lange für eine digital informierte Gegenöffentlichkeit plädiert und Kritik an neoliberalen Strukturen übt, muss ihre Praktiken hinterfragen, wenn Populisten und Fremdenfeinde vermehrt in dieselbe Kerbe hauen.

Der zunehmende Nationalismus treibt auch die Hauptausstellung um. Staaten schützen ihre Grenzen, Migrationsbewegungen werden unterbunden. Andererseits wird die globale Zirkulation von Waren unterstützt. Der Freihafen, mit seinen Ausnahmeregelungen und undurchschaubaren Strukturen, diente Kuratorin Inga Seidler als Leitmotiv. Die Arbeiten, die sie ausgesucht hat, sind in braunen Containerboxen installiert. Es sind überwiegend recherche-basierte Projekte, in denen sich Künstler über längere Zeit mit Themen beschäftigen. Die Gruppe „Demystification Committee“ etwa gründete ein Offshore-Unternehmen, das Bademode produziert. Sie wollen im künstlerischen Umfeld analysieren, wie solche Unternehmen funktionieren. Verstehen statt verurteilen, Wissen statt selbstreferenzielle Null-Phrasen, bestenfalls kann man das aus diesen Projekten lernen.

Haus der Kulturen der Welt, 31.1., 18-23 Uhr, 1.2. bis 4.2., 10-22 Uhr

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