zum Hauptinhalt
Transparente Fracht. Jahrelang porträtierte der niederländische Fotograf Hans Kemp auf seinen Asienreisen Lastentaxis und ihre abenteuerlichen Transportmethoden. Ihre meterhohen Ladungen – Gemüse, Baumaterial, Möbel, Volieren oder wie hier Goldfische - haben Kunstcharakter. Im Reutlinger Nomada Verlag hat Kemp seine Aufnahmen nun in dem Band „Bikes of Burden – Lastentaxis in Asien“ ( 160 S., 17 €) veröffentlicht.

© Nomada

Transparenzgesellschaft: Die Durchblicker vom Dienst

Von Wikileaks bis Wulff: Alle versprechen die transparente Gesellschaft. Aber wozu? Der in Karlsruhe lehrende Philosoph Byung-Chul Han warnt vor einem neuen Totalitarismus - mit einem fatalen Hang zur Übertreibung.

Von Gregor Dotzauer

Was sollen wir nicht alles sein. Eine Klassengesellschaft (Karl Marx). Eine von gouvernementalen Steuerungsmechanismen überforderte Risikogesellschaft (Ulrich Beck). Eine im Gegenteil bestens regierbare Chancengesellschaft (Roland Koch/Helmut Kohl/Erwin Teufel). Eine von grenzenlosem Hedonismus dauerbesoffene Erlebnisgesellschaft (Gerhard Schulze). Eine am Abgrund lebende Krisengesellschaft (Dirk Baecker). Eine an ihrer hemmungslosen Positivität erstickende Müdigkeitsgesellschaft, die in der Verleugnung alles Negativen seelische Erschöpfungszustände hervorbringt (Byung-Chul Han). Und jetzt, mit einem neuen Begriff des an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung lehrenden Philosophen auch noch eine ins Totalitäre zielende „Transparenzgesellschaft“.

So heißt der im März bei Matthes & Seitz erscheinende Essay, der die Gedankenwelt seiner „Müdigkeitsgesellschaft“ fortführen will, indem er einem „systemischen Zwang“ zu Leibe rückt. Dieser erfasse alle gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Prozesse und verbreite ein „Pathos der Transparenz“, dem man mit einem „Pathos der Distanz“ begegnen sollte, um sich nicht dem Seelenleben von Maschinen anzugleichen.

Schon letzten Sommer hatte Han in einem Interview mit „Brand Eins“ eine Attacke gegen die Selbsttransparenz des Menschen geritten, gegen Einrichtungen wie Wikileaks polemisiert und unter 28-facher Verwendung des Wortes Geheimnis und seiner Ableitungen eine Hymne der Verborgenheit gesungen – auch im Hinblick auf politisches Handeln. In der aktuellen „Zeit“ präludiert er seinem Buch mit einer kleinen Begriffsmusik erneut und versucht sich an einem Abgesang auf in der Tat fragwürdige Allerweltsweisheiten wie „Transparenz schafft Vertrauen“.

Es bedurfte nicht erst des undurchsichtigen Christian W., um vor einem Millionenpublikum eine Idee rhetorisch zu nobilitieren, die Organisationen wie die in fast 100 Ländern aktive Transparency International, Mehr Demokratie oder LobbyControl seit langem mit praktischen Ergebnissen propagieren. Von der weltweiten Korruptionsbekämpfung über vermehrte Bürgerbeteiligung auf Länderebene bis zur Enthüllung verdeckter PR-Maßnahmen, wie sie LobbyControl der Deutschen Bahn auf dem Weg zur Privatisierung nachweisen konnte, sind die NGOs auch auf diesem Gebiet ein Machtfaktor geworden. Teils sogar öffentlich finanziert, nötigen sie Politiker zu Transparenzversprechen, deren Tragweite sie wegen der Abnutzung des Begriffs wohl nicht immer absehen. Von Transparenz lässt sich mittlerweile so phrasenhaft sprechen wie von Nachhaltigkeit.

Han hat mit seinen Beobachtungen immer recht. Dadurch wird es einseitig

Aber macht das die Begriffe selbst entbehrlich? Oder nur ihre Ausrufung zum sakrosankten Prinzip? Und steht am anderen Ende der Transparenzskala nicht die genauso ausgeleierte Warnung vor dem gläsernen Bürger, die doch eine sehr reale Grundlage hat? In seinem Rundumschlag versucht Byung-Chul Han, auch mit diesen Aspekten kurzen Prozess zu machen, indem er in der Ausleuchtung – und damit Ausbeutung – des Kunden dieselbe Kraft am Werke sieht wie in dessen freiwilliger Selbstentblößung. Einen Vorgang, den er im Wort vom Wandel der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft von Gilles Deleuze übernimmt.

In der „Zeit“ beeilt sich Han zu versichern, dass er nichts gegen die Aufdeckung von Korruption habe. „Die Kritik an der Transparenz gilt ihrer Ideologisierung, Fetischisierung und Totalisierung.“ Da glaubt er, auch den Letzten in der Tasche zu haben: Wer nicht grundsätzlich für Transparenz ist, ist wenigstens grundsätzlich gegen Ideologisierung. Doch muss Han dann ausgerechnet Ulrich Schacht zitieren, einen DDR-traumatisierten neuen Rechten, in dessen Tagebüchern er den Eintrag fand: „Neues Wort für Gleichschaltung: Transparenz“?

Mit solchen Argumenten kann man die Schmalspurpolitik der Piraten in ihren axiomatischen Grund und Boden stampfen. Zur Beurteilung prominenter Einzelfälle, etwa von Kohls Parteispendenaffäre oder der Missbrauchsdebatten, taugen sie nicht. Denn was wären die Gegenbegriffe, wenn man sich nicht zum Abschied vom Entweder-Oder des Prinzipiellen entschließen müsste: Intransparenz, Opakheit, Dunkelheit? Ihr Loblied singt niemand schöner als die Satanisten.

Das Problem ist nicht, dass ByungChul Han mit seinen Beobachtungen im Einzelnen nicht immer wieder recht hätte. Es besteht vielmehr in ihrer Einseitigkeit, bei der es sich im Wesentlichen um eine zeitgenössisch aufgewärmte Vernunftkritik handelt. Hat Nietzsche sie nicht schon vielseitiger betrieben, als er Kants Abstraktionsexzessen eine um Sinne und Triebe erweiterte ästhetische Rationalität entgegensetzte? Haben Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ bei aller Übertreibung die Schrecknisse einer rein instrumentellen Vernunft nicht albtraumhafter ausgemalt? Und hat Paul Feyerabend dem Szientismus nicht schon frecher die anarchistische Zunge herausgestreckt?

Im Chaos liegen unsere Hoffnungen auf Emanzipation

Die Urszene der abendländischen Transparenzkritik ist vermutlich das Wort des auferstandenen Jesus gegenüber dem ungläubigen Thomas: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Als einziger der zwölf Apostel hatte der Jünger den Herrn nicht beim Zeigen der Kreuzeswunden erlebt. In der Logik des Johannesevangeliums ist dies ein legitimer Appell an das Vertrauen in den Nächsten. Wo kämen wir hin, wenn alles mit Brief, Siegel und wissenschaftlicher Studie abzusichern wäre? Als Grundlage einer großen Religion grenzt es an Obskurantismus: Wir wissen, wie es fliegende Yogis, Scientologen und spiritistische Medien mit ihren Wahrheiten halten.

Der jüngste Versuch, diese Ambivalenz zu fassen, ist „Die transparente Gesellschaft“ des italienischen Philosophen Gianni Vattimo. In seinem im Passagen-Verlag gerade neu aufgelegten Buch erklärt er, „dass a) die Massenmedien bei der Entstehung einer postmodernen Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielen; b) dass sie diese Gesellschaft nicht als eine ,transparentere’, selbstbewusstere und ,aufgeklärtere’ charakterisieren, sondern als eine komplexere und sogar chaotischere; und schließlich c) dass gerade in diesem relativen ,Chaos’ unsere Hoffnungen auf Emanzipation liegen“. Die Hoffnung sieht er im Anwachsen der Partikularitäten, die die großen Erzählungen ablösen. Er sieht aber auch, wie die technische Verfasstheit einer tendenziell totalen Kommunikation vor allem Herrschaftsideale bedient. Man wüsste gerne, was Vattimo diesem 1987, also vor Beginn der Internetrevolution verfassten Buch, heute hinzufügen würde.

Die anhaltende Selbstverständlichkeit, mit der wir Transparenz auch in unserem eigenen Leben anstreben, rührt wohl daher, dass wir immer noch von einer grundlegenden Symmetrie zwischen Welt und menschlicher Wahrnehmung ausgehen. Das kritisierte zwar schon Kant, aber Deutschlands führender Neuroethiker Thomas Metzinger bestätigt es aus der Perspektive der Hirnforschung: „Wir sehen nicht das Fenster, sondern nur den Vogel, der vorbeifliegt“, schreibt er in „Der Ego-Tunnel“. „Wir sehen nicht die Neuronen, die in unserem Gehirn vor sich hin feuern, sondern nur das, was sie für uns repräsentieren. Ein im Gehirn aktives, bewusstes Weltmodell ist genau dann transparent, wenn das System keine Möglichkeit hat, herauszufinden, dass es ein Modell ist.“

Aber auch der Umstand, dass das Ich seine gesellschaftliche Bedingtheit nicht durchschauen kann, wie Judith Butler erklärt hat, ist kein Grund, es für unzurechnungsfähig zu halten. „Wenn das Subjekt sich selbst undurchsichtig ist, kann es noch lange nicht tun, was es will, oder seine verbindlichen Beziehungen zu anderen ignorieren.“ Gerade daraus entstehe Verantwortung. Nichts ist deshalb schlimmer als derjenige, der sich selbst gar nicht erst zu verstehen versucht. Es kann nur sein, dass man für diese Tugend etwas braucht, was Robert Kelly für das Lesen von Gedichten beansprucht hat, nämlich „lucid incomprehensibility“. Diese Hellsicht in der Undurchdringlichkeit ist womöglich das Beste, was wir haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false