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Kultur: Trau nur den Verrückten

Exzellente Schulbildung, mäßiger Drogenkonsum: The Kooks stürmen die britischen Top Ten

Sie sitzen im Büro der Plattenfirma an einem Tisch, auf dem Saftflaschen stehen. An der Wand hängen Plakate von Bands, die es bereits geschafft haben. Sie selbst sind noch nicht soweit. Obwohl alle glauben, dass sie es bald sein werden. Die Rede ist von The Kooks, noch einer dieser atemberaubenden jungen britischen Rockbands, die sich an Achtziger-Jahre-Heroen wie The Clash, The Jam und Police orientieren.

Zu jung, möchte man meinen, um zu wissen, was sie wollen. Das Quartett hat sich erst 2003 im Rahmen eines Schulprojekts kennen gelernt. Trotzdem, so heißt es, hätten die Burschen über hundert Songs geschrieben. Nun, nach den Aufnahmen zu ihrem Debütalbum „Inside In/Inside Out“, das soeben erschienen ist und sie in eine Reihe mit den Kaiser Chiefs und den Arctic Monkeys stellt, werden die 20-Jährigen um die Welt geschickt, um sich und ihre Songs zu erklären. Beim ersten Mal macht so etwas noch Spaß. Doch der Bassist und der Schlagzeuger sind bereits abgereist. Krank geworden, erschöpft, ausgepowert vom Tourstress. Also sitzen nur Luke Pritchard und sein Gitarrenkollege Hugh Harris um einen schwarz lackierten Konferenztisch und vergraben ihre Köpfe zwischen den Schultern.

The Kooks kommen aus dem südenglischen Brighton, wo die Luft salzhaltiger ist und die Dinge schneller altern. „You want to go to the seaside“, singt Luke Pritchard denn auch die ersten Zeilen, „I’m not tryin’ to say that everybody wants to go.“ Eine feine Melancholie gibt den Ton für das wunderbare Album vor, das in England auf Anhieb in die Top Ten gesprungen ist. Der „NME“ hält ihn für „einen der besten jungen Songwriter, die es derzeit in England gibt“. Und der „Guardian“ empfiehlt: „Wer glaubt, dass Pete Doherty so viel besser sein könnte ohne Drogen, der sollte sich The Kooks anhören.“ Gemeint ist Pritchard. Er trägt einen am Kragen ausfransenden Strickpullover, und seine dunklen Locken, die ihn wie Tim Buckley aussehen lassen, kringeln sich ihm ins Gesicht. Ein hübscher Kerl.

Aufgewachsen ist der Sänger in Süd-London. Sein Vater starb früh an einem Herzinfarkt. Er hinterließ ihm eine exquisite Plattensammlung und einen Film, auf dem der zweijährige Luke „Yellow Submarine“ singt. Dann musste er auch den Tod seines Ersatzvaters verkraften. Dass er diese Schicksalsschläge halbwegs unbeschadet überstand, verdankt er dem strengen Regime einer ausgezeichneten Schulbildung. Mit 16 wechselte er auf die Brit School of Performing Arts and Technology in Croydon, wo er, wie er dem „Independent“ verriet, von Leuten umgeben war, „die ihre eigene Mutter für ein bisschen Erfolg verkauft hätten“. Das war nichts für ihn. Obwohl zu den „Kids of Fame“ auch das Popsternchen Katie Melua zählte, mit der er kurzzeitig zusammen war.

Pritchard, dessen Onkel als Bob Pritchard and The Echoes vor Jahrzehnten einen ansehnlichen Erfolg gehabt hatte, kam seiner eigenen Karriere am Brighton Institute of Modern Music näher. Obwohl er die meiste Zeit damit verbracht habe, sagt er, verkatert und unausgeschlafen zu den Kursen zu erscheinen, um über Led-Zeppelin-Platten zu reden, tat er sich mit Harris, Bassist Max Rafferty und Drummer Paul Garred zusammen. Den Bandnamen entliehen sie dem Bowie-Album „Hunky Dory“. Noch bevor sie ihr erstes Demo-Tape aufnahmen, einigten sie sich darauf, wie das Geld aufgeteilt werden würde. Denn zu ihrer Philosophie zählt, dass eine Band mehr ist als die Ansammlung von ein paar Musikern im selben Proberaum. Sie sind Debattierklub und Fahrgemeinschaft, die sich darauf einigen muss, welche Musik gehört wird. Ständig wird geredet. Denn stilistisch zerfallen sie in zwei Teile, den Rock’n’Roll- (die beiden Gitarristen) und den Reggae-Funk-Soul-Flügel (die Rhythmusgruppe). Dass ihre Debütplatte vor allem stürmischen Up-Tempo-Rock versammelt, erklärt Hugh Harris als Konsens. Aber er ist da nicht ganz unparteiisch. Songs wie „See The World“, „Sofa Song“, „You Don’t Love Me“ und „Ooh La“, allesamt Liebeslieder, springen einem direkt ins Gesicht. Schöne Melodien schälen sich aus ruppigen Akkordgewittern. Das hat Klasse. Obwohl ein Reißer wie „Eddie’s Gun“ von Potenzproblemen handelt, geht es ums Ungestüme, darum, jung, verwegen und, na ja, mal wieder verlassen worden zu sein.

Es gibt Theorien darüber, dass es in der Musikgeschichte immer wieder zu Band-Schwemmen kommt. So erklärte der Police-Drummer Stuart Copeland die Fülle an guten Bands Mitte der Achtziger mit dem englischen Wohlfahrtssystem. Es habe kreativen Menschen wie ihm erlaubt, sich keine Sorgen um den Lebensunterhalt zu machen. Plötzlich schossen Bands aus dem Boden, die Musik nicht des Geldes wegen machten. Etwas ähnliches beschert die Labour-Regierung der Jugend nun erneut. Wobei The Kooks schon zur dritten Retro-Rock-Welle zählen – und zu spät kommen, um vom Überraschungseffekt zu profitieren.

„Jede Generation verprügelt ihre Vorgänger“, sagt Pritchard und lacht ob dieser Unverfrorenheit, die auf Britpop-Größen wie Oasis und Blur gemünzt ist. Aber dann weiß er nicht weiter. Sein Kopf sackt noch tiefer zwischen die schmalen Schultern. Fragen. Antworten. „Musik sollte widerspiegeln, was in der Welt los ist, oder? Aber sie tut das nicht, wenn das Leben uninteressant ist. Sie rüttelt einen nicht wach, um einen eines Besseren zu belehren.“ Logisch. „Soon you’ll grow“, sang Bowie über die Zangengeburt des Ruhms, „so take a chance with a couple of kooks, hung up on romancing“. Halte dich an die Verrückten, heißt das, die an die Schwärmerei verloren sind.

The Kooks, Inside In/Inside Out ist soeben bei Labels erschienen. Die Band spielt am 21. April im Postbahnhof.

Kai Mülller

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