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Kultur: Traue nicht den Bildern

Stand da nicht die deutsche Romantik Pate? Diese Rückenfiguren auf Radziwills Bildern kennen wir von Caspar David Friedrich: Vom Bildbetrachter abgewandt, scheinen sie ganz und gar versunken in die Beobachtung des Mondes, der untergehenden Sonne oder des endlosen Meeres, auf dem einzelne Schiffe in die Ferne gleiten oder auf den sicheren Hafen zusteuern.

Stand da nicht die deutsche Romantik Pate? Diese Rückenfiguren auf Radziwills Bildern kennen wir von Caspar David Friedrich: Vom Bildbetrachter abgewandt, scheinen sie ganz und gar versunken in die Beobachtung des Mondes, der untergehenden Sonne oder des endlosen Meeres, auf dem einzelne Schiffe in die Ferne gleiten oder auf den sicheren Hafen zusteuern.Darsteller im eigentlichen Sinn sind diese Figuren nicht, denn alles was sie tun, ist Schauen - reglos, erwartungsvoll, sehnsüchtig.Das Schauspiel, das sich ihnen bietet, wird zum Stimmungsbild ihrer selbst; Innen und Außen fließen ineinander.

Franz Radziwill, von dem die Galerie Zunge derzeit eine kleine, aber mit teils hervorragenden Bildern bestückte Schau mit Arbeiten der frühen 20er bis 60er Jahre zeigt, verfuhr nach dem gleichen Prinzip.Bei seiner "Landschaft mit Fluß" von 1934 sieht man - ebenfalls von hinten - einen Mann und eine Frau in einem kleinen Boot, hingegeben ihrer kontemplativen Tätigkeit, dem Angeln.Eine Idylle? Mitnichten.Oben auf dem Deich steht eine weitere Rückenfigur, und was sich vor und über ihr zusammenbraut, droht die Stille zu zerreissen: Die Sonne, umgeben von dunklen Wolken, die zum Teil an schwarzen Qualm erinnern, steht wie ein blutroter Feuerball am Himmel; in großer Höhe kreist, einer aggressiven Libelle gleich, ein roter Doppeldecker.Das Bedrohliche scheint, auch wenn es nicht genau bestimmbar ist, zum Greifen nah.

Der Künstler als Seher? Radziwill malte das Bild 1934, ein Jahr nach der Machterfreifung der Nazis.Wer wollte da als parallele Erscheinung nicht unwillkürlich an Richard Oelzes berühmtes Bild "Erwartung" von 1935/36 denken, das stets als künstlerische Vorausahnung der kommenden Katastrophe gesehen wird.Dort ist es eine dichte, anonyme Menschenmenge, die sich stumm einem bleiern-verhangenen Himmel zuwendet.Aber Radziwill macht uns einen Strich durch die Rechnung: Im Gegensatz zu Oelze war er ein großer Sympathisant der Nazis.1933 trat er in die NSDAP ein, 1936 wurde er Hauptstellenleiter der Partei im Kreisstab von Varel in Friesland.Bildern allein kann man nicht trauen.

Was den heutigen Betrachter irritiert, muß für Radziwill selbst höchst verwirrend gewesen sein, jedenfalls was die Reaktionen der Öffentlichkeit betraf.Anerkennung fand der 1895 an der Unterweser geborene Maler schon früh.Nach expressionistischen Anfängen (etwa dem ausgestellten Bild "Russischer Prophet und Frau", 1919/20) wandte er sich Mitte der 20er Jahre der Neuen Sachlichkeit zu, einem magischen, visionären Realismus, der sich bei ihm durch eine nahezu kristalline Härte der Formen auszeichnete.Seine Arbeiten, die nun fast immer eine Atmosphäre des Unheimlichen, Bedrohlichen besitzen, fanden jetzt auch Eingang in die Museen, etwa in die Berliner Nationalgalerie.1933 hatte er sich einen solchen Namen gemacht, daß man ihn (ausgerechnet als Nachfolger des gerade entlassenen Paul Klee) als Professor an die Kunstakademie in Düsseldorf berief.

Die folgenden Jahre bis Kriegsende stehen im Zeichen größter Widersprüche - "Das Letzte an Demütigungen und das Größte an Erfolgen zugleich", so Radziwill.Einerseits wurde er 1935 seines Lehramtes enthoben und aus der Reichskammer der bildenden Künste entlassen, seine Bilder 1937 teilweise aus Museumsbesitz beschlagnahmt.Andererseits zeigte er Ende der 30er Jahre Einzelausstellungen in Köln und Wuppertal und konnte noch in den 40ern mehrere Aquarelle an das Reichsaußenministerium verkaufen.

Was tun mit einem - überdies bedeutenden - Künstler, der den Nazis trotz aller Repressalien die Stange gehalten zu haben scheint? Das Unbehagen bleibt - wohl wissend, daß die Kategorien Schwarz und Weiß längst nicht auf alle Maler und Bildhauer dieser Zeit anwendbar sind.War der große Emil Nolde zum Beispiel nicht auch lange Zeit ein Verehrer des Nationalsozialismus? Franz Radziwill, der seinem in den 20er Jahren gefundenen Stil lebenslang treublieb, fühlte sich als Verfolgter des Naziregimes, der nach 1945 - zunächst vergebens - um seine Ehrenrettung kämpfte.1971 schließlich wurde sie dem Künstler glanzvoll zuteil: mit der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland.

Die Betreuer des künstlerischen Nachlasses, die die jetzige Ausstellung neben anderen Leihgebern möglich machten, scheinen den richtigen Weg zu gehen.Sie decken die Geschichte auf anstatt sie zu vertuschen.Am 17.September zeigt die Galerie den Dokumentarfilm "Konsequent inkonsequent - Der Maler Franz Radziwill" von der Tochter Konstanze Radziwill und Gerburg Rhode-Dahl, und am 25.September liest die Tochter Biografisches aus den Schriften ihres 1983 verstorbenen Vaters (jeweils 20 Uhr).

Galerie Zunge, Wichertstraße 71, bis 16.Oktober; Dienstag bis Freitag 14-20 Uhr.

MARKUS KRAUSE

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