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Wanderausstellung Rohkunstbau auf Schloss Roskow: Traum ewiger Tugend

Mit der Kunst auf Landpartie: Die Wanderausstellung Rohkunstbau hat sich diesmal auf Schloss Roskow einquartiert.

Moral – das ist ein großes Ding, als Ausstellungsthema eigentlich ein Killer. Für die 19. Ausgabe von Rohkunstbau wird die Sache noch ein wenig komplizierter, denn im letzten Jahr fiel Brandenburgs prestigeträchtigstes Kunstprojekt ins Wasser, weil das Land die versprochenen Fördermittel kurzfristig strich. Wenn das nicht unmoralisch ist? Kurzsichtig war es allemal. Hinzu kommt der aktuelle Schauplatz, Schloss Roskow im Havelland, das sich heute wieder in Adelsbesitz befindet. Moralisch völlig einwandfrei, nur ging die Dorfgemeinschaft hier zur Schule, der Barockbau war bis vor wenigen Jahren noch Allgemeinbesitz.

Aber was moralisch noch viel bedenklicher erscheint an diesem zauberhaften Ort: Der berühmteste Spross derer von Katte, die das Herrenhaus im 18. Jahrhundert errichteten, ist jener Hans Hermann, der mit dem jungen Friedrich II. vor dem preußischen Militärdrill vergeblich zu fliehen versuchte und dann auf Geheiß des strengen Königs und Vaters hingerichtet wurde. So war das damals eben.

Moral – sie lugt in Schloss Roskow um jede Ecke, als Ausstellungsthema braucht es sie eigentlich nicht mehr. Aber Kurator Mark Gisbourne, der seit vielen Jahren Rohkunstbau künstlerisch betreut, verfolgt stoisch das Gesetz der Serie. Seit 2011 ist es das Ring-Projekt in Anlehnung an Richard Wagner, bei dem sich die geladenen Gäste nacheinander zu Macht, diesmal Moral, im kommenden Jahr zu Revolution und 2015 zu Untergang etwas einfallen lassen sollen.

Liegt es an der heiteren Landpartie, am Gefühl von Sommerfrische, dass sich trotzdem keine Schwere, keine Moralinsäuerlichkeit einstellen will? Vielleicht ist es vor allem die Freude darüber, dass es Rohkunstbau doch noch gibt, dieses außergewöhnliche internationale Ausstellungsunternehmen, das seit nun zwanzig Jahren in Brandenburg von Schloss zu Schloss weiterzieht. Die 19. Ausgabe ist ein Glücksfall. Thematisch zwar überfrachtet, aber von exzellenten Künstlern beschickt, darunter Elke Krystufek und Katharina Sieverding, die diesmal nur dezent ortsspezifisch arbeiten.

Öffentlicher Anstand und privates Begehren, das sind die Pole zwischen denen sich die Ausstellung thematisch aufspannt. Der Inzest zwischen Siegmund und Sieglinde in Wagners „Walküre“ liefert den Stoff dazu. Allenthalben wäscht sich jemand in Unschuld. Zlatko Kopljar hat das drastischste Bild dafür gefunden: In einer Fotoserie beugt er sich über eine Waschschüssel mit Blut, das er sich ins Gesicht spritzt. Bekannt wurde der Kroate mit seinen Selbstporträts, die ihn hilflos knieend an Orten der Weltmacht zeigen, vor der New Yorker Börse oder der Duma. Für Rohkunstbau hat der Künstler nun über Moral in Verbindung mit Mythen nachgedacht und – wie er sagt – erkannt, dass sie stets Blutdurst und ein Verlangen nach Erlösung weckt. Die Klarheit und Brutalität, mit der er diese Schlussfolgerung illustriert, lässt beim Betrachter das Blut gefrieren. Der Titel seiner Arbeit lautet „WWV86B“, die Nummerierung in Wagners Werkverzeichnis für „Die Walküre“.

Wie zart, wie sinnlich, aber auch sinister fasst die Schweizer Malerin Valérie Favre dagegen das Thema auf. Ihr grünlich-blau schimmerndes abstraktes Diptychon trägt unten zwei verschlungene Zeichen, in denen die Unendlichkeitsschleife zu erkennen ist – Symbol für die verhängnisvolle Geschwisterliebe zwischen Siegmund und Sieglinde. Dazwischen ist eine Seife platziert, „extra pur“, wie die Prägung verspricht, denn dieses edle Stück Savon de Marseille besteht zu 72 Prozent aus Olivenöl. Doch alles Reinigen nützt hier nichts, die Blutschande bleibt. Der Rausch der Gewalt wird auch diese Liebe erfassen. Das Bild von Lady Macbeth, die ihre Hände in Unschuld wäscht, kommt prompt in den Sinn.

Moral ist ein Gedankenspiel. Michael Wutz kreuzt die Blutlinien derer von Katte kurzerhand an einer alten Schultafel, die noch in einem der ehemaligen Klassenräume hängt. Väter-Töchter, Söhne-Mütter werden von ihm mit bunter Kreide zueinandergebracht, durch gezeichnete Pfeile vereint. Dazu erfindet er Geschichten unaufgeklärter Morde, zeichnet Begräbnisstätten in archäologische Pläne ein, die sich außerhalb des Kirchhofs befinden. Verdachte keimen auf. Der Künstler springt mit seiner Installation kreuz und quer durch die Zeit, bis hin zur Prähistorie und stellt als Frage in den Raum: Welcher Begriff von Moral gilt wann?

Annelies Strba bleibt darüber erhaben. Sie zeigt ein Tableau von Madonnen-Bildnissen, weiblichen Heiligen, die sie als Pigmentdrucke auf Leinwand gebracht hat. Den Kopf halten diese unschuldigen, schönen Frauen stets leicht zur Seite geneigt. Ihnen ist ewige Tugend gewiss. So wie Ophelia in Shakespeare „Hamlet“. Tatsächlich schwebt eine schöne weibliche Leiche durch ein Bild, die an Millais’ berühmtes Gemälde erinnert. Nur scheint die Unglückliche nicht zu schwimmen wie bei dem präraffaelitischen Maler, sondern auf einem Teppich zu liegen. Womöglich befindet sie sich nicht im Jenseits, sondern im Land der Träume, wo die Moral vor der Liebe verblasst.

Schloss Roskow, Dorfstraße 30, 14778 Roskow; bis 22. 9.; www.rohkunstbau.de

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