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Traumhochzeit, heiliges Blut, bejubelte Tötung: Was die Bilder der letzten Tage erzählen

So viele Bilder, man kommt kaum nach. Ikonische Bilder, Bilder, die Geschichte schreiben, die an Instinkte rühren. Nur ein Bild fehlt noch, obwohl die Logik des Krieges eigentlich nach ihm verlangt: das Bild vom toten Osama bin Laden.

Da sind die zahlreichen Menschenmassen. Am Freitag die jubelnde Menge zur Hochzeit in London, am Sonnabend jubelnde Fußballfans in Deutschland, am Sonntag jubelnde Katholiken in Rom, zur Seligsprechung von Johannes Paul II.. Und nachts die jubelnden Amerikaner nach der Nachricht vom Tod des meistgesuchten Terroristen der Welt. Das Spontane, das in den organisierten Event hinein Kanalisierte, eins sieht aus wie das andere. Hinzu kommen die frisch im Gedächtnis gespeicherten Bilder von der protestierenden Jugend auf dem TahrirPlatz in Kairo und überall in der arabischen Welt. Nicht das Ornament der Masse, sondern ihre schiere Präsenz, die Macht der Menge, die friedliche Versammlung, der Volksauflauf, der Straßenkampf: Urmoment menschlicher Gemeinschaft, des Aufruhrs, der Revolution.

Da sind zum anderen Rituale und symbolische Akte. Fahnen werden geschwenkt, Fotos verbrannt, bin Ladens Porträt wird durchgestrichen, wie damals auf den Fahndungsplakaten zur Zeit der RAF. ABC-News zeigt das Bett aus der Residenz des Al-Qaida-Chefs mit blutigen Laken darauf, es hat etwas vom Turiner Grabtuch. Wenn schon keine Leiche, dann wenigstens der Abdruck des Körpers des Mörders, wenigstens ein sichtbares Relikt des Bösen. Manchmal ist der Firnis unseres aufgeklärten Zeitalters so dünn, dass die Schichten unter der Zivilisationskruste zum Vorschein kommen: Archaisches, Atavistisches, Vodoo-Zeremonien, ein kleiner Rest Barbarei. Beschwörung statt Aufklärung.

Leben wir in einem neuen Mittelalter? Gerade erst haben uns Naturkatastrophen in Japan und flächenbrandartig sich ausbreitende Unruhen in Nordafrika erschüttert, Erdbeben und andere radikale Umwälzungen – und dann schaut die ganze Welt königliche Hochzeit im Fernsehen. Der Papst küsst eine Phiole mit dem Blut seines Vorgängers; eine wundergeheilte Nonne aus Frankreich schreitet damit über den roten Teppich, als weißgewandete Braut Christi, trägt die Blut-Reliquie vor sich her. Und ein paar Stunden später der Augenblick der Rache, der Vergeltung: Bring mir den Kopf von Osama bin Laden.

Es ist nicht das Tier im Menschen, das Blut sehen will, nicht nur niederer Instinkt. Es ist die Sehnsucht nach Teilhabe. Von wegen virtuelles Zeitalter und Cyberwar: Große Ereignisse wollen wir mit allen Sinnen aufnehmen, wir wollen begreifen, anfassen oder wenigstens nah dran sein, so nah wie möglich. Am Glück von Prinz William und seiner Kate, das geht nur live in London. An der baldigen Heiligkeit Karol Wojtylas, am Rand des roten Teppichs auf dem Petersplatz. Auch der Tod des Massenmörders Bin Laden will genau verortet und vorgestellt sein: Ach, hier in dieser Residenz hat er gehaust mit seinem Clan, hier ist er gestorben, schau an. Der seit 9/11 verwundete Westen will der Wunden des Feindes gewahr werden.

Was Christoph Schlingensief wohl dazu sagen würde. Es ist etwas sehr Katholisches in dieser Sehnsucht nach dem Leibhaftigen, auch wenn es ausgerechnet der Vatikan ist, der über seinen Sprecher mitteilen lässt, dass der Tod eines Menschen für einen Christen niemals Grund zur Freude sei. Auch nicht der Tod von Osama bin Laden.

Vor zehn Jahren stürzten die Türme des World Trade Centers in sich zusammen. Das Bild der rauchenden Twin Towers wurde zum Fanal eines sekundenschnellen Massenmords, ein Bild, das sich nicht begreifen ließ, an das sich das kollektive Gedächtnis bis heute nicht gewöhnt hat, ein Katastrophenfilm ohne Rettung und ohne Erlösung, eine Endlosschleife der entsetzlichen Realität. Bin Laden und die Selbstmordattentäter von 9/11 hatten der Zivilisation auch den Bilderkrieg angesagt. Sie attackierten nicht nur das zweithöchste Gebäude Amerikas, sie töteten nicht nur 3000 Menschen, sondern zerstörten auch ein Wahrzeichen, eine Ikone des freien Weltmarkts. Der Terror spielte sich nicht zuletzt im Reich des Symbolischen ab.

Der Filmpublizist und Bilderdeuter Georg Seeßlen schrieb damals in der „taz“ von einer visuellen „Kriegserklärung ohne Autor und ohne Text“, nicht einmal in Form eines Bekennerschreibens. Sie sei „reines Bild, verfasst in der Sprache, die diese Zivilisation zu der ihren gemacht hat“. Der Superschurke Osama bin Laden sei sehr fern und ganz nah zugleich, „nicht geheimnisvoll, nur auf eine beinahe unheimliche Weise trivial“. Die wenigen Aufnahmen, die es in den letzten Jahren von bin Laden gab, bestätigen das.

Den Bilderkrieg verweigert Barack Obama nun. Kein Kopf von Osama, kein leibhaftiger Toter, kein Täterprofil, keine Pilgerstätte für Islamisten. Nur ein ortloses Grab am Meeresgrund. Es gibt wohl keinen anderen Ausweg aus der Falle der Regression in die vorsprachliche Welt, indie angstbesetzte Sphäre der Feindbilder.

Gott und Teufel, Heiligsprechung und Verdamnis: Zur Zivilisation gehört das Bilderverbot, die Abkehr von der Überhöhung oder Dämonisierung des Anderen. Wobei das Wissen um die Grenze des Zeigbaren nur die halbe Wahrheit ist. Es gilt ja auch, das Sinnliche und die Lust am Leibhaftigen, am Feiern zu verteidigen. Gegen den Fundamentalismus jeder Couleur.

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