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Kultur: Trauriger Ritter

Der Mann hat Präsenz auch in den kleinen Bewegungen.Rücklings liegt er, auf Ellbogen gestützt, am Rand eines Lichtkegels; der kahlrasierte Schädel, kinnoben, ruckelt, pendelt, sticht vor wie ein Vogel.

Der Mann hat Präsenz auch in den kleinen Bewegungen.Rücklings liegt er, auf Ellbogen gestützt, am Rand eines Lichtkegels; der kahlrasierte Schädel, kinnoben, ruckelt, pendelt, sticht vor wie ein Vogel.Ellbogen beginnen zu zittern, stampfen, schaffen den seltsam gefangenen Körper weiter ins Licht.Unverhofft steht er auf den Beinen, scheint das Licht zu trinken.Schnelle Impulse durchzucken die Arme, die Hände flattern, doch zum Flug ansetzen wird der Mann im hautengen kurzen Kleidchen nicht.Nur der Raum um ihn taucht aus dem Dunkel, weitet sich zum scharlachroten Geviert, mit Waschsamt ausgehängt und - im Widerschein des Lichts - strahlend rotem Boden.Ein Käfig: begrenzt wie der Körper, in hoffnungslosen Ausbruchsversuchen gefangen.Der Italiener Emio Greco spielt in seinem Solo "Rosso", dem zweiten Tel der Trilogie "Fra Cervello e Movimento", mit Grenze und Widerspruch.Kontrollieren will der Verstand, während der Körper, unternehmunglustig, ausbrechen will zu neuer Erfahrung.Gelingen wird ihm das in dem einstündigen Zweikampf nicht.Der Konflikt zwischen Geist und Leib, typischer Ausdruck westlicher Entfremdung, läßt sich nicht lösen - nur steigern, austragen.Er verzerrt ihn zum Ritter von der traurigen Gestalt.Wo er in den Raum ausgreifen will, wandern seine Arme zu ihm zurück, verschränken sich hinter dem Rücken, verknäueln sich vor der Brust.Da mag er Armdistanzen ausmessen, den eigenen Leib umwandern - ausreisen ins Weite kann er nicht.Die verselbständigten Hände scheinen sich gegen den Akteur zu verbünden.Wie schnäbelnde Vögel paktieren sie in einem Spiel der Hände, attackieren ihren Eigner.Der ist schon nicht mehr Herr der Lage, eher ein Gebeutelter.Der ungleiche Kampf spreizt seinen Körper, zwingt ihn in eine verzerrte Grätsche, läßt ihn in absurden Bücklingen tippeln und taumeln.

Auf dem Höhepunkt entfesselt Greco einen Budenzauber theatraler Effekte.Die Toncollage von Wim Selles, bis dahin ein eher dezenter Begleiter, wirft sich auf zum dramatischen Trommelwirbel; Lichtblitze zucken, während das arme Opfer nur noch verzweifelt zwischen purpurroten Gefängniswänden rast.Keuchend steht der Mann am Ende im längt schweißnassen Kleid; ein Lichtkegel bannt ihn.Still spaziert eine weiße Taube herein - kein Freund.Greco, der verzweifelte Streiter in der Not, wandelt sich nicht zum Heiligen Franz, der die Sprache der Natur, seiner eigenen Physis versteht.Er folgt den wandernden Lichtkegeln an der Wand, paßt seinen Körper ein.Mit raschem Sprung sitzt er plötzlich in der Wand und hält von dieser Kanzel aus eine stumme Gestenansprache.Noch einmal treibt ihn ein rollender Rhythmus in wild zuckendes Kreiseln, das jetzt aussieht wie ein überdrehter Butohtanz; dann kehrt Stille ein.Die Lichtkreise ziehen sich zurück.Der Mann kauert im Eck - erschöpft.

Der Tänzer Greco verfügt über genügend Präsenz, um während seiner kräftezehrenden Exkursion ins Reich der gefangenen Sinne über eine Stunde die Spannung zu halten.Choreogaphisch tritt er allerdings immer wieder auf der Stelle.Mitunter fehlt ihm das Handwerk, die Ausgangsidee variantenreich durchzuarbeiten.Da rettet er sich in starke theatrale Effekte, die er von seinen Lehrmeistern Jan Fabre und Saburo Teshigawara gelernt hat.Der rasende Theaterdonner triumphiert über den geschundenen Leib, verhallt ohne bewegendes Echo.Emio Greco reiht sich mit seiner ersten Arbeit in jene Linie des zeitgenössischen Tanzes, die auf eine gebrochene Physis setzt.Der in einen unlösbaren Konflikt gezwängte Leib reibt sich auf im aussichtslosen Kampf.Er hofft - mag sein - auf eine Heilung, die doch niemals eintreten wird.Zu sehen bleibt der Ansatz eines Traums, wie aus ganz anderen Zeiten.

Heute: Theater am Halleschen Ufer, 21 Uhr.

NORBERT SERVOS

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