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Vielspieler. Kalle Kalima hat neben seinem Trio, mit dem er „Finn Noir“ auf die Bühne bringt, noch zahlreiche weitere Bands und Projekte.

© Doris Spiekermann-Klaas

Treffen mit dem Jazzgitarristen Kalle Kalima: Die Klangspur von Inspektor Palmu

Der Berliner Jazzgitarrist Kalle Kalima lässt sich von den Filmen seiner Heimat Finnland inspirieren. Ein Treffen in Pankow, zum Beginn des Festivals Jazzdor Strasbourg-Berlin.

„Bisher war das Wetter nicht gut genug. Ich hab schon überlegt, ob ich weiter nach Süden ziehen muss“, sagt Kalle Kalima und lacht. Er sitzt in der Sonne vor seinem Proberaum in Pankow und spielt die Alternativen durch: „Ich würde nach Barcelona gehen. Aber am liebsten würde ich ein großes Segelboot kaufen und auf dem Mittelmeer von Stadt zu Stadt segeln: immer dahin, wo das Wetter wirklich gut ist“. Aber bis es so weit kommt, ist er ganz gerne in Berlin zu Hause. Immerhin lebt er schon fast 20 Jahre hier, in einem Häuschen in Pankow mit Garten für die beiden Kinder.

Fast ebenso lange gehört er zu den Aushängeschildern der Berliner Jazzszene, obwohl er meist international unterwegs ist. Seine nächsten Konzerte sind in Wien, Zürich, Frankfurt und Passau. Polen und Mexiko folgen. Aber vorher tritt er endlich wieder einmal in Berlin auf: beim Festival Jazzdor Strasbourg-Berlin, das am Dienstag beginnt, spielt er mit seinem Trio und dem französischen Posaunisten Yves Robert als Gast. „Finn Noir“ ist der Abend überschrieben, was gar nicht mal als Wortspiel gedacht ist, denn es geht um finnische Filme. Von lakonischen Kaurismäki-Klassikern wie „Ariel“ bis hin zu Inspektor Palmu, einem Fernsehkommissar der fünfziger Jahren. „Wenn die Leute eigene Bilder im Kopf haben, ergibt sich oft ein überraschender Dialog mit dem Publikum“, erklärt Kalima. „Das ist ähnlich wie früher, als Jazzmusiker auf der Basis von bekannten Broadway-Nummern gespielt haben. Da gab es etwas, was die Leute schon kannten. Bei uns ist es natürlich anders“, denn er wird nicht die Erkennungsmelodien der Filme nachspielen: Es sind seine eigenen Eindrücke und Assoziationen, die er hier mitteilen will.

Bandprojekte als "darwinistisches System"

Zur Musik kam Kalle Kalima durch einen Schulfreund, der ihn mit Beatles- und Pink-Floyd-Cassetten dazu überredete, eine Band zu gründen und Gitarre zu lernen. Nach dem Abitur begann er erst mal ein Jurastudium. Sicher wäre er ein guter Anwalt geworden, so genau und pointensicher wie er seine Worte wählt. Doch schließlich bewarb er sich doch an der Sibelius-Akademie und bekam einen der fünf Plätze im Jazzstudiengang. Nach ein paar Semestern in Helsinki kam er mit dem Erasmus-Programm im Herbst 1998 nach Berlin. Schon deshalb sei er ein großer Fan der Europäischen Union, sagt Kalima, der zunächst in einem Studentenwohnheim am Mendelssohn-Bartholdy-Park unterkam. „Einmal im Monat kam der Kammerjäger und nachts stand ab und zu die Polizei im Hof und suchte jemanden.“ Als er in eine WG in Prenzlauer Berg zog, besserte sich die Situation. Schon bald war er an der Hochschule für Musik Hanns Eisler eingeschrieben und lernte bei John Schröder. „Sein Unterricht bestand eher darin, dass wir zusammen spielten und kommunizierten. Da habe ich viel mitbekommen. Es war auch witzig: Sein Verstärker hatte nur einen Eingang. Also haben wir beide mit E-Gitarren gespielt, aber unplugged, ganz leise.“ Mit Schröder, der auch Schlagzeug spielt, und dem Saxofonisten Daniel Erdmann gründet Kalima seine erste Berliner Band Momentum Impacto. Sie nehmen zwei Alben auf.

Schnell kommen weitere Bands dazu: Baby Bonk etwa, über deren verspielten Stilmix schon 2005 im Programmheft des Jazzfests Berlin zu lesen war, nach dem Konzert müsse man sich, oder zumindest seine Plattensammlung wieder neu sortieren, und das Trio Johnny La Marama. Auf seiner Website führt Kalle Kalima noch zehn weitere Projekte auf. Darunter die Tenors of Kalma mit dem Multiinstrumentalisten Jimi Tenor und das finnische Quartett K-18, dessen Name der deutschen Filmbewertung „FSK 18“ entspricht und das schon Alben zu den Regisseuren Kubrick, Buñuel und Lynch veröffentlicht hat. Das sind längst nicht alle Projekte des Gitarristen. Die Vielzahl seiner Bands erklärt er so: „Es ist eine Art darwinistisches System: Was nicht wirklich funktioniert, verschwindet auch im Lauf der Zeit.“

Kalima lebt gern in Pankow

Ab Herbst wird Kalle Kalima sein Zeitmanagement neu überdenken müssen, denn dann unterrichtet er an vier Tagen im Monat an der Musikhochschule in Luzern. Er freut sich darauf, mit den Studenten zu arbeiten. „Ich hatte selbst viele gute Lehrer, in Helsinki und hier in Berlin. Ich habe Lust, die Information und Inspiration weiterzugeben, die nächste Generation zu beeinflussen“, sagt der 43-jährige Musiker.

Er lebt gern in Berlin. Pankow sei fast wie ein Dorf: „Die Schulen sind gut und es gibt drei große Parks. Trotzdem kommt man schnell ins Zentrum. Der öffentliche Verkehr in Berlin ist fantastisch.“ Trotz der manchmal etwas langen Winter bleibt er also wohl noch ein paar Jahre in der Stadt, auch wenn er merkt, wie sich die Stimmung verändert hat. In diesem Jahr hat die AfD am 1. Mai eine Hüpfburg im Bürgerpark ganz in der Nähe aufgebaut. „Aber da waren keine Kinder. Und die haben auch ganz komischen Heavy Metal gehört. Und es gab eine Gegendemonstration. Dazwischen die Polizei mit Metallgittern. Das war ein komischer Tag.“

Nur eines hat sich nicht verändert: der Fluglärm über seinem Haus. Dass eine FDP-Initiative den Flughafen Tegel offen halten will, kann er nicht verstehen. „Es ist natürlich ein spezieller Ort – man kann direkt zum Gate fahren, und er war immer schon da für die West-Berliner. Aber das Leben geht weiter! Dieser Flughafen stört das Leben von 300 000 Menschen“, sagt Kalima. Ruhe über dem Haus – wie schön wäre das und wie inspirierend für neue Klangbilder.

Konzert: 31.5., 20 Uhr, Kesselhaus der Kulturbrauerei. Festival Jazzdor Strasbourg-Berlin 30.5. bis 2.6. im Kesselhaus. Info: www.jazzdor-strasbourg-berlin.eu

Tobias Richtsteig

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