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Mit der Neugier eines Kindes. Der amerikanische Comiczeichner Trenton Doyle Hancock, 42.

© Thilo Rückeis

Trenton Doyle Hancock im Porträt: Torpedo am Wannsee

Veganer greifen an: Der US-amerikanische Künstler Trenton Doyle Hancock baut an der American Academy seine Comic-Welt aus. Eine Begegnung am Wannsee.

Fast könnte man ihn vor der imposanten Kulisse der American Academy übersehen. Vor der eleganten Villa am Wannsee mit der großen, alten Bibliothek und dem spektakulären Blick aufs Wasser. Wahrscheinlich wäre es ihm recht so. Doch dann taucht diese riesige Plastikbrille in knalligem Zitronengelb am Rand des Sichtfelds auf, und man entdeckt den Künstler doch, wie er auf einem Ledersofa in der Ecke sitzt.

Die Brille – jeden Tag in einer anderen Farbe – ist das Markenzeichen des amerikanischen Künstlers Trenton Doyle Hancock, der sich selbst vor allem als Figurenerfinder und Geschichtenerzähler beschreibt. Der 42-Jährige gehört in diesem Jahr zu den zwölf Stipendiaten, die von der American Academy nach Berlin eingeladen worden sind, um im Westberliner Idyll an ihren Projekten zu arbeiten und sich miteinander auszutauschen.

Hancock wird hier an seiner „graphic novel“ arbeiten – ein ausgefalleneres Wort für Comics, so formulierte er es selbst einmal. Comiczeichner wollte er schon als Kind werden. Am liebsten für Marvel oder einen der anderen großen Comicverlage. Mit zehn Jahren zeichnete Hancock seine erste Figur und hörte nie wieder damit auf. Er illustrierte Geschichten für zwei studentische Zeitungen und belegte auf dem College so viele Kunstkurse, wie er konnte. Nach seinem Abschluss und dem Umzug nach Houston, Texas kam es dann doch anders: „Ich wollte zwar immer noch graphic novels zeichnen, aber so, wie sie noch niemand gesehen hatte.“

Seine Arbeiten gehören zur Sammlung des Whitney Museums und des MoMa's

Er hat den Mund nicht zu voll genommen. Seine Arbeiten werden seither international ausgestellt. Hancocks Drucke, Collagen, Zeichnungen und Gemälde sind Teil der ständigen Sammlung des Whitney Museum of American Art und des Museum of Modern Art in New York.

In seinen Werken verknüpft Hancock autobiografische Erzählstränge mit der Geschichte des „Moundverse“, einer komplexen Welt mit eigener Schöpfungsgeschichte, Mythologie und zahlreichen Figuren und Handlungssträngen, die er über mehrere Jahrzehnte hinweg erschaffen hat. Das Hancocksche Moundverse wird vom Volk der „Mounds“ bewohnt, einer Kreuzung aus Pflanze und Tier, die statt zu sprechen, ausschließlich durch Farben kommuniziert. Ihre Gegenspieler sind die in der Unterwelt hausenden „Vegans“, Veganer, die keine Farben sehen können und immer wieder unverhofft im Moundverse auftauchen, um ihre Aggressionen an den schwarz-weiß und pink gemusterten Fell-Mounds auszulassen. Der Beschützer seiner Welt ist ein Superheld namens „Torpedo Boy“, den Hancock seinem Ebenbild nachempfunden hat – sein Alter Ego.

Hancock ist bis heute ein leidenschaftlicher Spielzeugsammler mit einem Faible für Actionfigur-Verpackungen und Spielzeug-Werbespots der achtziger Jahre. Schon als Junge fühlte er sich von den klaren, auffälligen Formen und dem farbigen Plastik angezogen. Die Figuren waren für ihn aber auch eine Art Medium: „Ich projizierte mich in die Figuren hinein wie ein Avatar und konnte so den Weg des Helden beschreiten, aber auf Distanz.“ Die kindliche Neugier erlaube es, imaginäre Orte zu erfinden, die nach eigenen Regeln funktionieren. Fantasiewelten, in denen man selbst die Kontrolle hat und die Welt in seinem eigenen Tempo begreifen lernt, erklärt Hancock. Ein „professionelles Kind“ sei er heute noch.

Sein Superheld ziert sogar seine Visitenkarte

Diese Idee will er auch den Besuchern seiner Ausstellungen vermitteln. Seine Werke beschreibt Hancock als eine Art „loose novel“, eine lose Erzählung: „Alle formalen Komponenten eines Comics sind da; Text, Bilder, Textur – aber sie explodieren und breiten sich im Raum aus.“ In seinen Ausstellungen sind die Wände mit Texten in riesigen Buchstaben beschrieben, Gegenstände sind oft überlebensgroß.

Hancock hat ein Lieblingswort für das, was er damit bezweckt: Infantilisierung. „Ich will, dass Besucher wieder zu Kindern werden, für die alles neu ist und denen die Dinge oft viel zu groß erscheinen. Sie sollen sich fühlen, als würden sie durch eine Geschichte laufen.“ Popkulturelle Elemente aus Comics, Horrorfilmen oder Videospielen lässt er genauso in seine Kunst einfließen wie Versatzstücke aus der klassischen Malerei und Musik. Hancock möchte eine Brücke zwischen „hoher“ und „niederer Kunst“ schlagen, denn das Erhabene stecke für ihn oft im Bodenständigen, Alltäglichen. Neben seinen Zeichnungen und den mehrlagigen Collagen aus Filz, Fell, Plastik und Farbe entwirft er auch Actionfiguren und Kostüme. Sogar ein Ballett über das „Moundverse“ hat er in Kooperation mit dem „Ballett Austin“ aufgeführt.

Die wenig elitäre Herangehensweise an die Kunst liegt teilweise in Hancocks Herkunft begründet: „Wo ich herkomme, war Kunst kein Thema,“ erinnert er sich. Wo er herkommt, damit meint Hancock seinen Geburtsort Oklahoma City und später die texanische Kleinstadt Paris, in der er mit Mutter, Stiefvater und seinem jüngeren Halbbruder aufwuchs. „Ich musste erst lernen, dass das Museum ein Ort ist, an dem ich dieselbe Begeisterung empfinden konnte wie in einer Sportarena, einer Kirche oder auf einem Rockkonzert.“

Mit bloßer Existenzflucht habe sein Moundverse wenig zu tun. Obwohl es bei der momentanen politischen Lage in den USA gar nicht schlecht sei, einmal wegzukommen: „Normalerweise redet man mit neuen Bekanntschaften übers Wetter,“ sagt Hancock. „Jetzt redet man über Trump.“ Als Künstler frage er sich, wie viele andere an der American Academy, wie es nun weitergehen wird. Mit seiner Kunst zumindest will er keine Option zur Flucht anbieten, sondern Parallelen zur Realität schaffen. Auch im Moundverse geht es um die großen Fragen nach Krieg, Liebe, Leben und Tod – nur eben aus der Distanz betrachtet und oft mit einer Prise Humor versehen: „Mit Humor und durch die Linse des Absurden betrachtet, kann man viele beängstigende Dinge anders vermitteln und Menschen dazu bringen, sich zu öffnen,“ so Hancock.

In die Rolle seines Superhelden Torpedo Boy schlüpft Trenton Doyle Hancock, der am liebsten nachts arbeitet, bis heute. Sein Alter Ego ziert sogar die eigene Visitenkarte. Auf der Brust des Helden prangt ein fettes, pinkes „T“.

Er trägt einen gelben Ganzkörperanzug. Gelb wie die Brille, die Hancock beim Gespräch trägt. Für welche er sich jeden Tag entscheidet, hänge nicht von seiner Laune ab: „Es geht darum, wie die Leute denken sollen, dass ich mich fühle.“ Hancock lächelt. „Im Grunde ist es eine Maske.

„Mind of the MOUND and the Moundverse“, ein Künstlervortrag von Trenton Doyle Hancock, findet am 09. März um 19.30 Uhr in der Galerie Aurel Scheibler, Schöneberger Ufer 71, 10785 Berlin statt.

Nina Raddy

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