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Kultur: Tretmine

„Ich werde hier sein ...“ im Maxim Gorki Theater

Man stelle sich vor: Lenin besteigt anno 1917 nicht den plombierten Waggon von Zürich nach St. Petersburg. Die russische Revolution findet nicht statt. Dafür erlebt die Schweiz einen kommunistischen Umbruch. Diesen Gedanken buchstabiert der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht in seinem Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ durch. Selbst die ältesten Bewohner der „Schweizer Sowjetrepublik“ (SSR) haben keine Ahnung von jenem Zustand, den man Frieden nennt: Seit 96 Jahren leben sie im Krieg. Die linientreuesten Kämpfer werden in Afrika rekrutiert. Einer von ihnen, ein namenloser „Parteikommissär“ (Michael Klammer), bekommt nun den Auftrag, den mysteriösen Oberst Brazhinsky (Till Wonka) festzunehmen. Er begibt sich auf eine Reise, die Literaturkenner an Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ erinnert. Explosionen, Tretminen, Mörder und Vergewaltiger säumen seinen Weg.

Der Gorki-Intendant Armin Petras, dem schon höchst bemerkenswerte Romanadaptionen gelungen sind, hat Krachts Text diesen Sommer als Koproduktion mit seinem eigenen Haus im Stuttgarter Theater im Depot inszeniert. Leider gehört die Aufführung, die jetzt im Studio des Maxim-Gorki-Theaters angekommen ist, nicht zu den Sternstunden des Petras-Theaters. Recht brav erzählt der Regisseur die wichtigsten Stationen des Buches nach und reduziert das Personal dabei auf eindimensionale Oberflächen. Die für Petras-Inszenierungen typische Spielwut und Freude am Jux führt diesmal nicht zu erhellenden Einsichten, sondern steht unplausibel im Widerspruch zum fast schon pädagogisch ernsthaften Grundgestus des Abends.

Auch der Ansatz, Verrohung und Gewalt mittels Puppen vorzuführen, die immer wieder als Kriegs- und Folteropfer durch die Luft geschleudert werden, ist fragwürdig. Auf Zuschauerseite führt der bezweckte Verfremdungseffekt im Laufe der 100-minütigen Aufführung jedenfalls eher zu Konzentrationsabfall als zu gesteigerter Sensibilität. Christine Wahl

Wieder am 4. und 5. 12., 20.15 Uhr.

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