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Kultur: Treue oder Reue

Ehekrisen und andere Fegefeuer: Neues von Zanussi, Ferrara und Chéreau beim Filmfestival Venedig

Dem zeitgenössischen italienischen Kino, international wegen seiner fernsehtauglichen Bodenständigkeit eher gefürchtet, eilt auf dieser 62. Mostra del Cinema ein seltsamer Ruf voraus. Nicht weniger als sieben italienische Produktionen, davon vier Koproduktionen, sind im 20 Filme umfassenden Wettbewerb vertreten – was die von der Zeitung „La Repubblica“ vorweg erhobene Forderung, Italien nach zehn Jahren des Ruhmentzugs endlich wieder mit einem Goldenen Löwen zu ehren, zumindest statistisch wahrscheinlich macht. Andererseits behaupten böse, wenn auch wohlinformierte Zungen, Festivalchef Marco Müller habe sich entsprechenden Pressionen der italienischen Politik und Filmindustrie in seinem zweiten Amtsjahr kühl gebeugt – um umso leidenschaftlicher seine Lieblingsschätze ausstellen zu können. Die von dem Sinologen selbst kuratierte „Retrospektive des verborgenen asiatischen Kinos“ umfasst stattliche 50 Filme, kaum weniger als die drei Reihen des offiziellen Programms zusammen.

Mit der Präsentation des ersten rein italienischen Films im Wettbewerb, Roberto Faenzas „I giorni dell’abbandono“, hat sich das Festival fast eine Woche Zeit gelassen, und das war womöglich weise. „Die Tage der Verlassenheit“, die tatsächlich ein knappes Jahr im Leben einer von ihrem Mann zugunsten einer Jüngeren verlassenen Frau erzählen, erfüllt so manche der in das italienische Kino gesetzten bangen Erwartungen; andererseits rückt der Film mit der ehelichen Untreue ein verborgenes Leitmotiv des Wettbewerbsprogramms in seinen Mitttelpunkt.

Das Uraltthema des Kinos packt Faenza zunächst beherzt an: Er versucht, möglichst unromantisch die Lebenskrise einer Verlassenen (Margherita Buy) zu zeigen, die sich zudem um ihre zwei Kinder kümmern muss. Doch der nicht eben ungewöhnliche Kinostoff kommt, verkörpert von verblüffend uninspirierten Schauspielern, bald sowohl banal als auch bedeutungsvoll daher – ein Mix, der zwangsläufig in unfreiwillige Komik mündet. Größtes Drama: Der Familienhund stirbt. Größtes Glück: Die Heldin entbrennt bei einem Konzert in Liebe zu ihrem lange unterschätzten Nachbarn, einem begnadeten Cellisten. Und heißa, schon hoppelt das auferstandene Hundchen über die Bühne.

Das ist der Stoff, aus dem die venezianischen Träume sind! Und schon macht die „Repubblica“ weiter Dampf: Zugunsten von Krzysztof Zanussis altmodisch solidem „Persona non grata“, einer polnischrussisch-italienischen Koproduktion, hat das Blatt seine Löwen-Mahnung konkretisiert. Einem einstigen Solidarnosc-Kämpen und polnischen Botschafter in Uruguay (angenehm solide: Zbigniew Zapasiewicz) ist soeben die Frau gestorben. Vor allem plagt ihn die Sorge, sie habe einst eine Affäre mit seinem Freund, dem heutigen russischen Vizeaußenminister (furchtbar eitel: Nikita Michalkow) gehabt. Bald aber zerbröselt das durchaus reizvolle Psychogramm eines alternden Idealisten in einer Fülle von Nebenhandlungen – und als der Schäferhund des Botschafters eingeschläfert werden muss, ist das schlimme Ende auch für sein Herrchen nicht weit.

Der Katholik Abel Ferrara, man weiß es, fackelt grundsätzlich nicht lange: Bei ihm geht der untreue Mann schnurstracks durchs Fegefeuer. Forest Whitaker gibt, erstaunlich ungelenk, in „Mary“ den Starmoderator einer christlichen Talkshow, der sich neben seiner hochschwangeren Elizabeth ein Gretchen hält und erst durch Maria Magdalena geheilt wird. Juliette Binoche spielt den bedauernswerten Part einer Schauspielerin, die aus ihrer Rolle als weiblicher Apostel im Jesus-Film-im-Film „This Is My Blood“ nicht in ihr früheres Leben zurückfindet. Stattdessen frömmelt sie so lange in Jerusalem vor sich hin, bis sie, per Telefon in die Talkshow zugeschaltet, auch Whitaker auf den rechten Weg zurückführt. Der betet alsbald geradezu furchterregend für Frau und Kind, und selbst die durch einen zeitgleichen Terroranschlag in Jerusalem orchestrierte Überlebenskrise seines Frühchens wird durch das leidenschaftliche Gespräch mit Gott gemeistert. Ferraras „Mary“, eine amerikanisch-italienische Koproduktion, ist ein Film, der Mel Gibson gefallen dürfte, und George W. Bush noch dazu.

Auch Patrice Chéreaus „Gabrielle“ ist eine – französisch-italienische – Koproduktion: doch halt, immer noch ein echter Chéreau. Sein packendes, auf einer Kurzgeschichte von Joseph Conrad beruhendes Ehe-Kammerspiel, mit dem der Regisseur spielerisch an seine TheaterVergangenheit erinnern will, erzählt von der Rückkehr einer untreuen Frau zu ihrem Mann, den sie nicht liebt. Erst vor vier Stunden hat Gabrielle (Isabelle Huppert) ihrem Mann (Pascal Greggory), einem reichen Schnösel von Verleger, den Abschiedsbrief geschrieben, der ihn nach zehn Jahren kühl-korrekten Ehelebens plötzlich in die Erkenntnis seiner Liebe stürzt – und schon ist sie wieder da. Nur: warum?

Chéreau inszeniert die folgenden Tage der Abrechnung als vibrierende Seelenpein: eine Suite aus panischen Monologen und düsterem Verstummen in Fin-de-Siècle-Ambiente, und hinter halb geöffneten Türen schauen die Dienstmägde zu. Doch „Gabrielle“, ein kalter Blick in die Ehehölle, macht nur kurz schaudern. Zu sehr beschränkt sich Chéreau, Regisseur von „Intimacy“, dem Berlinale-Sieger 2001, diesmal auf die psychologische Skizze. Als Liebeserklärung an die grandiose Isabelle Huppert aber funktioniert der Film ganz wunderbar.

Und wohin, wenn man abseits all der angestrengten Italo- und Semi-Italo-Dramen mal ausspannen will? Nach „Elizabethtown“, Kentucky, zum Beispiel: Cameron Crowe hat da allerlei fidele Katastrophen angerichtet. Und das Wichtigste: Boy (Orlando Bloom) meets Girl (Kisten Dunst)! Untreu werden können sich die beiden später immer noch.

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