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Kultur: Treueschwur

Moritz Rinke über das Gezappe zwischen Jubel und Tod Was ist das für ein absurdes Unternehmen: sich aus einem viereckigen Kasten im Schlafzimmer morgens die Bilder rauszusuchen, die man braucht, um mit einem geordneten Weltbild ins Badezimmer zu treten. Es wird ja wahrscheinlich vielen so gegangen sein: Wieso beim Anblick eines jubelnden Irakers, der nebenbei mit seinem Schuh ein SaddamBild schlägt, in Beklemmnis verfallen?

Moritz Rinke über das Gezappe zwischen Jubel und Tod

Was ist das für ein absurdes Unternehmen: sich aus einem viereckigen Kasten im Schlafzimmer morgens die Bilder rauszusuchen, die man braucht, um mit einem geordneten Weltbild ins Badezimmer zu treten. Es wird ja wahrscheinlich vielen so gegangen sein: Wieso beim Anblick eines jubelnden Irakers, der nebenbei mit seinem Schuh ein SaddamBild schlägt, in Beklemmnis verfallen? Warum Beruhigung, wenn ich umschalte und wieder blutende Menschen in Bagdads Krankenhäusern sehe?

Es war ja mühsam genug, sich aus dem Bann der Bilder des 11. September zu befreien; sich später, in der Phase der UN-Sicherheitsratssitzungen, wiederum vom Vorwurf des platten Zapfsäulen-Antiamerikanismus zu befreien, um dann endlich die eigene Einstellung zur Bush-Administration zu justieren. Und kaum war sie ein paar Wochen eingestellt auf „Aggressionskrieg“ und „Völkermord“ und der SMS-Speicher voll von Aufrufen zum US-Produkt-Boykott - nun diese Jubel-Bilder.

Das Bewusstsein tut sich wohl schwer mit Widersprüchlichem. Gerade die Deutschen wollen eine eindeutige Meinung und nicht ein Gesamtbild mit unzähligen Fürs und Widers und so ein Hin- und Her-Gezappe zwischen Jubel und Tod, zwischen fallenden Denkmälern und verblutenden Menschen. An den Printmedien, die ja größtenteils auch nur Fernsehen gucken, kann man schon sehr gut ablesen, wie die widersprüchlichen Bilder wirken. Einen Tag nach dem ersten Jubel fielen bereits die Wörter „Befreiung“ und „militärischer Erfolg“. Die „Süddeutsche Zeitung“, wahrlich kein Zentralorgan der Amerikaner, zeichnete ein schönes Porträt des bescheidenen George Bush, geradezu entzückt schien man von seiner „stillen Selbstbeherrschung“. „Die Welt“ kommentierte schon in seliger Gewissheit: „Der Krieg gegen Saddam ist ein Erfolg. Die Bilder belegen es.“

Die Bilder belegen es? Auf Seite 2 derselben Zeitung ist bezeichnenderweise noch ein Bericht dazwischengerutscht, der die Zustände in den Krankenhäusern anschaulich und erschütternd beschreibt, aber auf Seite 1 wird bereits jede Kritik am militärischen Vorgehen auf Grund der Aktualität der Jubel-Bilder geopfert, und auf Seite 27 gibt es sogar schon Bush-Jesus-Vergleiche vom Einzug in Jerusalem. Mein Gott, was der Mann für ein Spektrum abdeckt! Vor kurzem noch „Bush-Hitler“ (Däubler-Gmelin), jetzt schon „Bush-Jesus“ („Die Welt“). Nein, nein, das ist keine Medienschelte, denn vermutlich haben wir dieser Tage auch so polare Wankungen, und in unserem Kopf sieht’s aus wie zwischen den Seiten 1, 2 und 27.

Worauf aber läuft es hinaus? Was schneiden wir in den nächsten Tagen an den Rändern der widersprüchlichen Bilder ab, um einen eindeutigen Ausschnitt zu haben, mit dem wir wieder geordnet ins Badezimmer treten können? Anders gefragt: Wie schnell kommen wir vom proamerikanischen 11.-September-Mitgefühl über die antiamerikanische Meinung vom völkerrechtswidrigen Krieg zum proamerikanischen Befreiungspathos? Harter Parcours, aber mit Bildern scheint ja alles machbar . . .

Ich habe keine Ahnung, in wie viele Billigungshörner ab kommender Woche geblasen wird, darum hier einfach präventiv ein Treueschwur: Bush hat den völkerrechtswidrigen Befehl gegeben, den Irak anzugreifen, weil er angeblich den Weltfrieden gefährdet und Massenvernichtungswaffen hat. Dann sind da Irakis mit Kalaschnikows und Taschenmessern wie Hühner herumgelaufen und wurden totgebombt inklusive Tausender Zivilisten. Jetzt werden Kühlschränke, Computer und selbst Krankenhäuser geplündert, schon mal ein bisschen der Wertekanon des Raubkapitalismus gefeiert, während US-Soldaten aus Angst vor Attentaten auf Zivilisten schießen anstatt sie zu schützen. Soweit der Schwur, bei den Tatsachen zu bleiben, auch deshalb, weil ja jetzt der britische Verteidigungsminister meint, Kriege würden nachweislich die Welt verbessern, und deshalb seien in Zukunft noch einige humanitäre Präventivkriege zu erwarten. Müssen sich da Journalisten eigentlich schon jetzt präventiv akkreditieren, um für Pjöngjang oder den Iran „embedded“ zu sein?

Richtig interessant wird es übrigens, wenn die Kameras im Irak ausgehen und es keine Bilder mehr gibt. In den alten Dramen gibt es immer noch den Übergang von der Gewalt in die neue politische Ordnung; bei den „Atriden“ oder „Hamlet“, da kann man den 5. Akt noch sehen. Nicht aber bei uns. Bei uns wird zum „nation building“ wahrscheinlich erst wieder umgeschaltet, wenn der Nachfolgepräsident des Irak erschossen wird.

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