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„Was nicht lebensfähig ist, muss ein anständiges Ende bekommen“. Klaus Klamroth, einst Treuhand-Direktor in Halle.

© Annette Hauschild/Real Fiction

Treuhand und die Folgen: VEB Abwicklung

Transfer einer Volkswirtschaft: der Dokumentarfilm „Goldrausch. Die Geschichte der Treuhand“ über das vielleicht düsterste Kapitel des Beitritts der DDR zum Grundgesetz.

Von David Ensikat

Es war einmal ein Land, in dem war das Volk unermesslich reich. Alle großen Betriebe und Fabriken gehörten ihm, aber abgesehen von den sonderbaren Namen, VEB Leuna-Werke Walter Ulbricht oder VEB Deutsch Sowjetische Freundschaft Wärmeanlagenbau, merkte das Volk nichts von seinem Wohlstand. Es blickte hinüber zum Nachbarvolk, das keinen einzigen Betrieb besaß, und sah: Diesem Volk ging es besser.

Also beschloss das VEB-Volk, sich mit dem Nachbarvolk zusammenzutun und nach dessen Sitten und Gebräuchen weiterzuwirtschaften. Seine Betriebe verschenkte und verkaufte es für wenig Geld an die reichsten und tatkräftigsten unter den Nachbarn. Sie sollten florierende Unternehmen daraus machen, von deren Gewinn auch den ehemaligen Eigentümern etwas bliebe. Der Goldrausch, der nun einsetzte, hatte wenig mit den Hoffnungen des VEB-Volks zu tun und viel mit den Gewinnerwartungen der reichen und tatkräftigen Nachbarn. So viele Betriebe für’n Appel und’n Ei! Dazu Milliarden Subventionen. Wenn ein Betrieb nicht funktionierte, schloss man ihn und besaß noch das Grundstück.

Für den Goldrausch inklusive Abwicklung der Hoffnungen war die Treuhandanstalt zuständig, ein staatliches Unternehmen, das allein dem Finanzministerium Rechenschaft schuldete. Acht Jahre nach deren Ende berichtet nun ein Dokumentarfilm über Rausch, Hoffnung und Katzenjammer. Es ist keine schmeichelhafte Geschichte: Das Volk spielt eine undankbare Nebenrolle, am Anfang erscheint es in Form von Demonstranten, die die D-Mark fordern und damit vermeintlich den ganzen Schlamassel auslösen. Im weiteren Verlauf tritt es als zornige Menge auf, die fassungslos der Entlassung entgegensieht. Reiche und tatkräftige Aufkäufer oder Investoren treten so gut wie gar nicht auf, über sie wird aber viel gesprochen, zu großen Teilen nicht sehr nett. Etwa über jenen Michael Rottmann, dem die Veruntreuung vieler Millionen im Fall des VEB Wärmeanlagenbau nachgewiesen wurde – bis die Sache verjährt war.

Protagonisten von „Goldrausch“ sind eine Handvoll Treuhand-Mitarbeiter, von denen der interessanteste Detlef Scheunert heißt: der einzige Ostdeutsche, der es bis in die Chefetage der Treuhand brachte. Ein smarter, kühler Typ mit eckiger Brille, der wunderbar den bösen Wessi mit dem harten Herzen geben könnte. Er spricht offen darüber, wie sinnlos es war, defizitäre Betriebe mit Millionen Subventionen am Leben zu erhalten, und dass er es vorzog, sie zu schließen. Auch um zu verhindern, dass westdeutsche Unternehmen eine Konkurrenz erhielten, die vom Staat alimentiert wird. Wissend, dass die Schließung Tausende von Arbeitsplätzen kostete, dass Städte veröden mussten: ein kalter, aber ehrlicher Vollstrecker des vermeintlich Unabwendbaren.

„Was nicht lebensfähig ist, muss ein anständiges Ende bekommen“, heißt es einmal. Die Treuhänder sprechen freimütig über ihre Überforderung. Tausende Betriebe in eine andere Wirtschaft zu überführen, zu bewerten, zu verkaufen, aufzulösen – wie sollte das schadlos funktionieren? Sie sprechen über ihre skandalöse Freiheit: Vom Parlament wurde die Treuhand nicht kontrolliert, nur de jure vom Finanzministerium. Aber wer wusste in Bonn, was im Osten abging?

Der Film verlässt sich fast vollständig auf die Aussagen der gut ausgewählten Protagonisten. Manchmal wünschte man sich einen einordnenden Kommentar, etwa als es um die Abwicklung eines Hotelbetriebs geht. Auch ist nicht ganz nachvollziehbar, warum die Geschichte vor allem an einem eher blassen Ex-Treuhänder, Klaus Klamroth, entlang erzählt wird. Weil er sympathischer erscheint als der Ossi? Oder weil er Wessi ist und damit besser ins Bild der Fremdbestimmung passt?

Bei der Produktion des Films kam es zu Auseinandersetzungen über die Erzählstruktur: Wie steigt man ein, wer sind die Protagonisten? Dem Regisseur, auf dessen Idee und Recherche alles beruht, wurde der letzte Schnitt entzogen. Daraufhin zog er seinen Namen zurück. Es ist unschwer herauszubekommen, um wen es sich handelt: Dirk Laabs, 39, ein Hamburger Journalist. Er hat ein Buch über die Treuhand veröffentlicht, mit einem sehr ähnlichen Titel: „Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand“, ein sorgfältig recherchierter, hervorragend geschriebener Text. Aber auch der Film sei empfohlen. Er zeigt anschaulich, unter welchen Bedingungen der beispiellose Transfer einer ganzen Volkswirtschaft vonstatten ging. Einer der Treuhand-Manager spricht vom Triumph der Marktwirtschaft. Und sagt: „Ich weiß nicht, ob die Marktwirtschaft das verdient hat.“ David Ensikat

Babylon Mitte, Brotfabrik, Eiszeit

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