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Kultur: Triumph des Schwimmens

Eine Woche vor ihrem 100. Geburtstag zeigt Arte einen neuen Film von Leni Riefenstahl – und Sandra Maischberger trifft die Jubilarin

Von Mechthild Zschau

Fischlein, groß und klein, rund und dünn, einzeln und in Scharen, tummeln sich über wogenden Meeresblumen, durchbrochenen Korallenstauden, geheimnivollen Steingebilden. Ein Pop-Maler im LSD-Rausch scheint sie koloriert zu haben, nichts ist ihm schrill genug, weder Neoneffekte noch Anleihen bei der Psychedelic Art. Satte 45 Minuten lang, untermalt von Giorgio Moroders süßlicher Elektronik, zieht die „phantastisch schöne Welt der Riffe“ kommentarlos vorbei, der ideale Stoff zum Wegdösen, weg aus dem schmuddeligen Alltag, hinein in den ewigen Traum von schwebender Harmonie.

Leni Riefenstahl, die älteste Taucherin der Welt, sammelte während der vergangenen 20 Jahre Unterwasserbilder in allen tropischen Meeren. Montiert hat die berühmteste – und zugleich berüchtigste – Regisseurin Deutschlands sie nach, wie sie selbst sagt, „dynamischen Gesichtspunkten“: mit präzisem Gespür für Rhythmus und Farben. Eine Feier der Schönheit ist daraus geworden. Nur Madonnenbilder können noch reiner und schöner sein. Nein, nein, ein Dokumentarfilm sei das nicht, versichert sie. Und appelliert im Vorspann mit rührendem Mädchencharme an die Welt, doch bitte, bitte diese Schönheit der gefährdeten Meere zu bewahren. Wie damals Grzimeks Film „Serengeti darf nicht sterben“ den Naturschutzparkgedanken weckte, soll ihr Werk nun den Anstoß dazu geben, unter Wasser Ähnliches zu installieren.

Einmal mehr will Leni Riefenstahl also Geschichte schreiben. „Ich bin in gewisser Weise naiv,“ sagt die Filmemacherin, die nächste Woche 100 Jahre alt wird, und platzt schier vor Energie. Ein Phänomen, diese gänzlich ungreisenhafte Greisin. Wohlondulierte Blondlöckchen, feines Makeup, der Mund ein bisschen zu gestrafft – ihre früher aufsehenerregende Schönheit ist noch zu erkennen. Auch ihre Zähigkeit, ihr beinharter Wille, ihre Selbstsicherheit. Maischberger, anfangs mit ungewöhnlich verschlossenem Gesicht, lernt im Interview das Staunen über diese schwierige Frau.

Hitler? War nicht ihr Typ

Sie begleitet die alte Dame durch ihr Haus, blättert mit ihr in den gut sortierten Aktenmetern des persönlichen Archivs – darunter auch ein Ordner mit der Aufschrift „Angriffe“. Riefenstahl zuckt gelassen mit den Schultern. Kritik? „Damit kann ich gut umgehen.“ Basta. Erst später gibt sie zu, dass der enorme Karriereknick nach Kriegsende sie doch geschmerzt hat. Ungerecht sei sie behandelt worden: Als Nazisse habe sie, die Unpolitische, sich niemals empfunden. War sie nicht nur wie alle anderen fasziniert von den grandiosen Inszenierungen der Macht? In Hitler verliebt? Nein. War nicht ihr Typ.

Maischberger sitzt mit ihr am Schneidetisch (neueste Digitaltechnik, im hohen Alter angeschafft), gemeinsam betrachten sie Fotos und Filme mit den makellos schimmernden Körper der sudanesischen Nuba – auch daraus soll noch ein Film werden. Ja, sie sei Ästhet, möge nichts Hässliches fotografieren, schon als Kind habe sie einen Blick für das Schöne gehabt. Vielleicht ist das der Schlüssel für das Verständnis dieser Regisseurin, die die NS-Ästhetik mehr geprägt hat als Albert Speer und Arnold Breker zusammen. Vielleicht hat sie einfach ihr ganzes Leben lang alles Brüchige, Gefährliche und Schmutzige ausgeblendet, Judenmord und KZs inklusive. Und so hat sie Hitlers Wunsch nach den denkbar verführerischsten Bildern der Macht mit Hingabe gedient, offenbar ohne Skrupel, ohne einen Gedanken an eine Wirkung jenseits der reinen Schönheit. Ja, auch für Stalin oder Churchill hätte sie ihr Bestes gegeben, warum nicht?

Politik interessiert sie nicht. Nur der richtige Lichteinfall, die raffinierte Kameraperspektive, die Dramatik der Bewegung, die Perfektion des Bildaufbaus, die Suggestivkraft der Dramaturgie. Für Moral ist in einem solchen Weltbild der radikal partiellen Wahrnehmung kein Platz. Auch nicht für Fragen, für Zweifel, für Differenzen und Paradoxie. Es ist, als hätte Leni Riefenstahl einen blinden Fleck in der Seele – und gerade durch dieses Handicap wirkt sie authentisch: eine mit sich selbst gänzlich übereinstimmende Person. Maischberger kann nachfragen, wie sie will, die Widersprüche türmen sich auf, aber die alte Dame pocht ungeniert darauf, „wahrheitsliebend“ zu sein.

Einen Traum hat sie noch: „Penthesilea“ zu verfilmen. Am liebsten mit sich selbst als junger Frau in der Titelrolle, in der schon Max Reinhardt sie gesehen hat. „Maßlosigkeit und Leidenschaft“ teile sie mit der Kleistschen Figur. Und sie beneidet sie um die Fähigkeit, den Tod durch eigenen Willen herbeizuführen. Sie selbst habe schon viel zu lange gelebt, oft an Selbstmord gedacht, aber immer Angst gehabt. Am schönsten wäre es gewesen, sie hätte sterben können am Tag des Kriegsausbruchs im September 1939. Da stand sie hoch oben auf den Dolomiten und am Gipfel ihrer Karriere. Seitdem geht es nur noch bergab. Sagt sie. Und wirkt kein bisschen wehleidig.

Wenn der Arte-Themenabend zu Ende geht mit „Das blaue Licht“, dem ersten großen Spielfilm, den Leni Riefenstahl 1932 drehte, lässt sich ihre unzweifelhafte Begabung für Bildgestaltung überprüfen. Dieses Hochgebirgs-Heimat-Melodram aus der Frühzeit des Tonfilms (ach, diese Musik!) schimmert selbst wie all die wundersam reinen Kristalle, die das arme Mädchen Junta (makellos und hexenhaft: Leni Riefenstahl) im Vollmondschein anstaunt. Es ist ein ungehemmtes Schwelgen in Nebelschwaden, Weichblenden, Dorfidyllen, kantigen Bauerngesichtern, markigem Schweigen. Und in zarter, verfolgter Weiblichkeit.

Ja, sie beherrscht ihr Handwerk. Und bereut nichts. Leni Riefenstahl – kein Opfer, keine Täterin, sondern einfach sie selbst. Ein scharf geschliffener Kristall.

Arte-Themenabend heute, Do, ab 22.55 Uhr.

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