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Kultur: Trocken und amüsant: die Blicke der Alltagsfrauen auf sich selbst

"Jeff tänzelte an den Sitzreihen entlang, verteilte Küsschen, ob die Zuschauerinnen wollten oder nicht, und näherte sich bedenklich unserer Reihe. Ich saß ganz am Rand, wenn er bis hierhin vorrückte, war ich fällig.

"Jeff tänzelte an den Sitzreihen entlang, verteilte Küsschen, ob die Zuschauerinnen wollten oder nicht, und näherte sich bedenklich unserer Reihe. Ich saß ganz am Rand, wenn er bis hierhin vorrückte, war ich fällig." Karen Duve braucht nur wenige Sätze, um eine Atmosphäre von beklemmender Nähe zu erzeugen, als säße man als verklemmte Finanzbeamtin neben den Arbeitskolleginnen in einer Männerstripshow, voller Angst, gleich auf die Bühne gezogen zu werden. Gleichzeitig geht sie das alles nichts an: ein Wechselbad aus Erleben und Beobachten, aus "nur dabei" und Mittendrin. Die Geschichten handeln von Frauen und ihrem Blick auf sich selbst. Abstürze, Grenzüberschreitungen, Unerträglichkeiten im Leben beschreibt sie ohne Sentimentalität. Mal sind ihre Protagonistinnen jung, mal zurückgeblieben oder gelangweilt, mal besteht ihr Alltag aus Angst. So etwa der stupide Tagesablauf der Finanzbeamtin, die täglich wie gelähmt ist, wenn die Vorgesetzten ihre Kontrollrunde gehen - aus Angst, diese könnten bemerken, dass sie seit 47 Tagen über derselben Steuererklärung sitzt. Der Besuch der Männerstripshow, eine Variation im Immergleichen, wird zu einem einzigen Angstfrühstück. Aber es trifft nicht sie, sondern die hässliche Außenseiterin.

"Ich hätte Wünsche und Ziele haben sollen", sagt die apathische, drogensüchtige Apothekertochter aus der Titelgeschichte des Erzählbandes "Keine Ahnung", "doch für mich war die Zukunft bloß ein Feind mehr, der es auf mich abgesehen hatte". Eltern, Freunden, Lehrern bringt sie Gleichgültigkeit entgegen. In der Disko Sitrone, einem Ort, an dem sie "lieber unglücklich war als an anderen Orten", durchtanzt sie die Nächte, nimmt Drogen und prostituiert sich. Nichts ist unerträglich, alles wird irgendwann Alltag. Die Erzählungen lesen sich trocken, bei aller Tragik amüsant, heucheln keine Anteilnahme - und erreichen diese so gerade. Die Hamburgerin Duve wurde für ihre Kurzgeschichten mehrfach ausgezeichnet. 1999 erschien ihr Debüt "Regenroman", Pulp Fiction im Nieselregen Mecklenburg-Vorpommerns.Karen Duve: Keine Ahnung. Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt , DM 13,80

Doris Dangschat

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