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Kultur: Trost & Trümmer

„Der fliegende Holländer“ bleibt unsinkbar:  Helmut Oehrings Wagner-Collage in Düsseldorf.

Man kommt nicht los von ihm. Warum hat gerade Richard Wagner dieses Vereinnahmende, das die einen von vornherein abschreckt und die anderen für ihr Leben in seinen Kreis zieht? Claus Guth könnte es wissen. Der 1964 geborene Regisseur hat alle „kanonischen“ Opern des Sachsen inszeniert und uns dabei Wunder der Psychologie und historischen Verortung geschenkt. Jetzt konzipiert er an der Oper in Düsseldorf gemeinsam mit dem Komponisten Helmut Oehring einen szenischen Essay über Wagners „Fliegenden Holländer“. Von dessen Partitur ragen gewaltige Fragmente in ein Werk namens „Sehnsuchtmeer“ hinein, dem auch Andersens „Kleine Meerjungfrau“ entsteigt, an dessen Rand sich Heine Gedanken über Nordsee und Romantik macht und jenen „dunkelroten Riesen“ sieht, das Schiff des Holländers, das den Leser Wagner überhaupt erst auf sein Sujet brachte. Und auch für Agnes Luckemeyer aus Wuppertal ist noch Platz, besser bekannt als Mathilde Wesendonck.

An Wuppertal darf man auch denken beim Anblick der kargen Halle, die Christian Schmidt entworfen hat, ein bitter pietistisches Kirchenschiff des Industriezeitalters. Dass die von Heine ironisierte, von Wagner hypertrophierte Romantik der Sehnsucht auch auf die Funktionalisierung der Welt reagiert, bleibt aber vorerst ein rein konzeptueller Gedanke, ergänzt durch den, dass im 19. Jahrhundert die Frau zum Schweigen gebracht wurde und sich um so vernehmlicher als Opernheroine äußerte. Bei Oehring ist nun sogar Senta tonlos.

Der Komponist, 1961 als Sohn gehörloser Eltern geboren, hat ihre Rolle der gebärdensprechenden Christina Schönfeld anvertraut, und allein die Intensität, mit der sie im Industriekirchenschiff die Koordinaten ihrer Hoffnung abschreitet, ist verbindlicher als die paar Klänge, in denen Oehring seinen großen Kollegen nicht zitiert. Mit Orgelpunkt, Esogeklingel und Chormelismen hebt’s an, es gibt auch ein paar mäßig vertrackte Rhythmen, als Soundtrack ist das prima. Eine autarke Position, gar eine Partitur ist bei diesem Versuch vielleicht auch gar nicht möglich.

Dafür wird die Sogkraft der Vorlage deutlicher als an jedem werktreuen Wagnerabend. Oehring schraffiert und verzerrt Wagner, färbt hier eine Linie grell, lässt dort eine abreißen, aber ganz gleich, ob das von Axel Kober exzellent vorbereitete Orchester gerade Soundtrack, Übermalung oder Original spielt – die Bindungskraft, die Gravitation Wagners ist enorm, und mit ihr setzt sich der stärkste Moment des Abends auseinander.

Zwischen Flügel, Sofa und Zimmerpalme singt Manuela Uhl die Wesendonck-Lieder. Zuerst wird sie von der stummen Senta begleitet, am Ende verstummt sie selbst, und die „Träume“ übernimmt ein Mann mit Macken. David Moss röchelt die Worte, jault sie, zerfetzt Silben, er scheint gegen einen Dämon um die Sprache zu kämpfen, es sind bizarre Koloraturen der Deformation.

Klammern wir uns nicht wie er an diesen letzten intimen Zauber eines Jahrhunderts, in dem der Traum zum Symptom absank und die Zerlegung der Welt in die kleinen Teile begann, zwischen denen wir nun zucken und zappen? Die Einheit, die Wagner im Bewusstsein ihres Verlusts herstellt, nach ihr sehnt man sich, und Moss ist so zerrissen wie wir. Hier bekommt manche papierene Passage des Abends rückwirkend Sinn. Man ahnt, wofür wir Wagner brauchen.

Und weil er ihn nicht los wird, lässt Guth am Ende noch Senta ihre Holländerstatuette zerschmeißen. Aber Wagner bleibt ganz. Besonders, wenn man ihn zerlegt. Volker Hagedorn

Volker Hagedorn

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