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Donald Trump wird am 20. Januar vereidigt. Was dann?, fragen sich viele Amerikaner.

© AFP

Trump und Ich (1): Ich würde lieber über Möhrensauce reden

Amerika unter Donald Trump? In loser Folge berichtet unsere New Yorker Autorin aus dem amerikanischen Alltag mit dem neuen Präsidenten. Eine Kolumne.

Ehen zwischen Schwarzen und Weißen, gemischt-religiöse Paare: Amerika hat Übung mit gemischten Haushalten – wobei diese bis heute eine gewisse Familiendiplomatie erfordern. Anders als bei Religion und Hautfarbe wird Diversität zwischen den Geschlechtern in der Regel allerdings bevorzugt, und es sind ausgerechnet die gleichgeschlechtlichen Paare, die deren Familien spalten können. All diese delikaten Terrains verblassen jedoch im Vergleich zum Spaltpotenzial von Trump. Wer Familientreffen überstehen will, braucht jetzt die rhetorischen Fähigkeiten eines Talleyrand.

Je näher die Vereidigung Donald Trumps in der nächsten Woche rückt, desto deutlicher wird, dass die Nation von jeglicher Gelassenheit mit Uncle Sam weit entfernt ist. Bereits der Wahlkampf hatte so manche Sommerferien ruiniert, Weihnachten nach der Wahl wurde zur zähneknirschenden Angelegenheit. Es wird immer schlimmer. Kürzlich, auf einem Flug in die USA, gerieten zwei Frauen in der Reihe hinter mir mit der Familie rechts von mir in einen derart erbitterten Streit über Trump, dass ich ihnen meine Schlaftabletten anbot. Sie wollen sich doch sicher ausruhen? Nein, wollten sie nicht.

Jeder hat etwas zu sagen, aber keiner Ahnung

Jetzt sind Überlebensstrategien gefragt. Ich habe eine Liste von Themen zusammengestellt, die als Ablenkung taugen, sobald sich das Gespräch der Politik zuwendet. Universitätspolitik, dachte ich, ist ein guter Blitzableiter. Die ganze alberne Truppe professoraler Dummschwätzer, das Mikromanagement in der Verwaltung … Aber dann kamen wir über die Bürokratie auf die faschistische Persönlichkeit zu sprechen – und schon war die Runde wieder bei Trump. Eine Weile funktionierten die neue U-Bahn auf der Second Avenue und der Abgleich von Lieblingsflughäfen, aber das führte zur Diskussion über Amerikas marode Infrastruktur – und wir waren bei Trumps Wirtschaftsvorhaben.

Neulich war ich zum Dinner bei Leuten eingeladen, wo Madame Clinton und ihr Gatte Trump gewählt hatte. Ich unternahm mehrere Versuche, die Konversation auf so faszinierende Gesprächsstoffe wie Möhrensauce oder das Aussterben der Giraffe zu lenken (doch, sie stirbt wirklich aus). Es hatte keinen Zweck: Der Ehemann polterte, jeder andere am Tisch sei politisch naiv; sein bester Freund knallte die Suppenkelle auf den Tisch – bis die Tochter des Hauses fragte: „Was macht eigentlich der Immobilienmarkt in Sullivan County?“

Wie bitte?

Ich bin sicher, niemand in der Runde hat je über den Immobilienmarkt in Sullivan County nachgedacht oder weiß überhaupt nur, wo das liegt (ich glaube, irgendwo nördlich von jener schicken Gegend, in der die New Yorker Sommerhäuser kaufen, aber südlich von Buffalo).

Anna versuchte es weiter: „Ich glaube, die Preise sind da ganz gut.“

Echt jetzt, weiß jemand was über die Wohnungspreise in Sullivan County? Da weiß ich schon eher was über Moabit. Sullivan County – brillant! Wenn es um Immobiliengeschäfte geht, kann kein Bewohner von Manhattan widerstehen. Ein Schnäppchen in den Vororten von Phuket? Ein guter Deal in Südost-Patagonien? Da hat jeder sofort eine Meinung. Annas Dad spekulierte gleich über mögliche Steuervorteile, ohne Näheres über das Steuerrecht in Sullivan County zu wissen. Da auch sonst keiner was darüber wusste, war es der perfekte Gesprächsstoff. Jeder hatte etwas zu sagen über etwas, wovon niemand auch nur die geringste Ahnung hatte.

Genauso verhält es sich gerade mit den Plänen von Trump.

Marcia Pally lehrt Multilingual Multicultural Studies an der New York University. Zuletzt erschien ihr Buch „Commonwealth and Covenant: Economics, Politics, and Theologies of Relationality“ (Eerdman 2016). – Aus dem Englischen von Christiane Peitz.

Marcia Pally

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