zum Hauptinhalt
Ein Demonstrant hält bei einem Protest im Washington Square Park in New York ein Plakat mit einem Judenstern und der Aufschrift "Never again - We are all Muslims". Die Demonstration richtete sich gegen US-Präsident Trumps Einreiseverbot, von dem Menschen aus sieben mehrheitlich islamisch geprägten Ländern betroffen waren.

© Andy Katz/Pacific Press/ZUMA Wire/dpa

Trump und Ich (5): König und Chaos

Amerika unter Donald Trump? In loser Folge berichtet unsere New Yorker Autorin aus ihrem Alltag mit dem neuen Präsidenten. Diesmal geht es um Prophetisches.

Darryl saß in der U-Bahn und las Samuel. Er las das biblische Buch Samuel, ein Kompendium des politischen Verrats; Robespierre wirkt dagegen wie ein Zwerg. Darryl war ein Junge von vielleicht 14 Jahren, und ich fragte ihn, warum er sich diese Lektüre ausgesucht habe. In der New Yorker U-Bahn kann jeder jeden etwas fragen.

Seine Bibelstudiengruppe lese es „jetzt“, sagte er. „Jetzt?“ Ja, nicht „vorher“. Aber was genau bedeutete „vorher“? Wir lesen es, fuhr er fort, damit wir lernen, Gottes Wege in der Politik zu erkennen. Er erklärte mir, dass es am Ende des Buchs der Richter so viel Zersplitterung und Chaos gab, dass die hebräischen Stämme ihre Anführer entließen und nach einem König riefen.

Ganz schön anspruchsvolles Vokabular! Aber die evangelikale Tradition entwickelt immer gute Rhetorik bei ihren Kids.

Der Prophet Samuel sprach sich gegen einen König aus, aber die Leute wollten einen starken Führer, um die „Zersetzung und Verwüstung“ zu beenden. Das war schlecht, meinte Darryl. Es führte zu Lügen, Verrat und Gewalt zwischen den politischen Fraktionen, und die Israeliten litten immer mehr.

Warum aber, wollte ich wissen, hat sein Lehrer Samuel gerade jetzt ausgesucht? Denn „jetzt“, das war nach Trumps Einreiseverbot gegen Flüchtlinge und Einwanderer.

Darryl kam richtig in Fahrt. Ob ich von dem offenen Brief an Donald Trump gehört hätte, der von über hundert kirchlichen Führern unterzeichnet wurde und in der „Washington Post“ erschienen ist? Jesus habe uns gelehrt, unseren Nächsten zu lieben, sagte Darryl, und die Geschichte des barmherzigen Samariters handele davon, dass der Nächste der Fremde ist und jeder, der vor Verfolgung flieht, Schutz brauche, egal was seine Religion sei oder woher er komme. Kirchen in ganz Amerika würden jetzt Flüchtlingen helfen, so wie bei ihm zu Hause in Wisconsin. Wisconsin ist Trump-Gebiet.

Das soll hier kein Spoiler sein – aber die Geschichte bei Samuel ging nicht gut aus. Die Herrschaft von Saul und David war geprägt von Gewalt und Verrat, und nach einem kurzen, mythologisch überhöhten Auftritt von Salomo zerfielen die Königreiche, es folgten Verarmung, Niederlage und Exil.

Wie meinte Darryl? Vielleicht sind Könige doch keine gute Idee.

Marcia Pally lehrt Multilingual Multicultural Studies an der New York University. Bisher erschienen: „Ich würde lieber über Möhrensauce reden“, „Da hilft nur noch beten“, „Die Mexikaner werden für diese Protestschilder bezahlen“, „Amerika liest wieder mehr Zeitung“.

Übersetzung: Rüdiger Schaper

Marcia Pally

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false