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"Tschick" im Theater: Benzinklau in der Walachai

Alexander Riemenschneider bringt Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick“ im Deutschen Theater auf die Bühne.

Kunstkakteen säumen den Weg der jugendlichen Outlaws Maik und Tschick. Den beiden Achtklässlern, die in Wolfgang Herrndorfs jugendbuchpreisgekröntem Roman in einem geklauten Lada durch die ostdeutsche Provinz touren, geht es schließlich nicht darum anzukommen. Sondern wie bei jedem guten Roadnovel besteht der Sinn der Sache im Unterwegssein. Auch, wenn der russlanddeutsche Migrationshintergründler Tschick seinen wohlstandsverwahrlosten Kumpel Maik ursprünglich mit der Idee ins „ausgeliehene“ Gefährt gelockt hatte, den Großvater nebst einiger attraktiver Cousinen in der Walachei besuchen zu wollen.

Also hat die Bühnenbildnerin Rimma Starodubzeva ein ironisches Wüstenzitat in die Box des Deutschen Theaters gebaut und an die Rückwand in Leuchtbuchstaben „Walachei“ geschrieben – womit von vornherein klar wäre, dass die Roadstory für die Zuschauer ein reiner Kopftrip bleiben wird. Wie zurzeit bei Romandramatisierungen üblich, behält der Regisseur Alexander Riemenschneider den Erzählgestus der Vorlage bei und verzichtet zudem auf eine eindeutige Figurenzuordnung. Die beiden Schauspieler Sven Fricke und Thorsten Hierse wechseln einander nicht nur permanent – und gern auch mal mitten in einem Dialog – in der Maik- und der Tschick-Rolle ab, sondern übernehmen auch das restliche Personal fast im Alleingang: von Maiks alkoholkranker Mutter, über den gestrengen Deutschlehrer Schürmann bis zum durchgeknallten Provinzopa Horst, der mit einer ziemlich langrohrigen Waffe irgendwo im Brandenburgischen auf die Jungs zielt, um ihnen anschließend ultimative Lebensweisheiten mit auf den Weg zu geben. Diverse Sandplateaus mit dürrer Gelegenheitsbepflanzung dienen den Akteuren dabei als Spielflächen. Auf einer Empore thront der Musiker Arne Jansen in einem vom klassischen Cowboylook inspirierten Outfit und treibt das Geschehen zusätzlich mit seiner E-Gitarre voran. Der Rest ist weitgehend requisitenfreies Spiel.

Und weil die beiden Hauptdarsteller das ausgesprochen gut beherrschen und sich mit großer Lust in die Story hineinwerfen, hat man auch im Parkett entsprechenden Spaß. Man schaut praktisch – und damit ist der Abend durchaus nahe am Roman – zwei pubertierenden Außenseitern beim ständigen Entwerfen, Übermalen und Zurechtrücken ihrer eigenen, schön spinnerten Gedankenwelt zu. Das anfangs etwas angestrengt wirkende Hauptrollen-Switching gewinnt dabei immer mehr an Reiz, weil Sven Fricke als rührender, eher pragmatischer Geradeausdenker und Thorsten Hierse als tendenziell hintergründiger Sensibler mit gehobener Ironiefähigkeit die Jungs komplett unterschiedlich interpretieren. Allein, wie verschieden beide Charaktere mit der Ablehnung durch die Klassen-Schönheit Tatjana umgehen, die weder Tschick noch den schwer in sie verliebten Maik zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen hat, ist von schön subtilem Witz: Während Fricke sich die Gitarre schnappt und einen unglaublich schüttelreimlastigen Schmachtfetzen mit dem Titel „Ich bin nicht eingeladen“ intoniert, lässt sich Hierse nur sehr langsam aus der Süffisanz-Reserve locken, die er so mühselig aufgebaut hatte.

Und ihrer Kollegin Natalia Belitski gelingt in ihrem kurzen Gastspiel schließlich das Kunststück, die von Herrndorf gegen sämtliche Mädchen- klischees gebürstete Isa, die die Jungs unterwegs treffen, nicht selbst schon wieder zu einem Stereotyp werden zu lassen. Isa muss Tschick und Maik zwar prinzipiell alles erklären und vorführen, was Männer sonst angeblich aus dem Effeff beherrscht: die Orientierung in unwegsamem Gelände, Handwerkstricks, Benzinverlagerung von teuren Autos in klapprige Ladas unter optimaler Ausnutzung physikalischer Gesetzmäßigkeiten … Trotzdem darf sie bei Belitski ein angenehm gelassenes Individuum bleiben, das nicht gleich die ganze Last jahrzehntelanger Gender-Debatten mit sich herumträgt.

Die Aussichten bleiben damit gut für die weitere Bühnenkarriere von Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman: Nach der Uraufführung Mitte November durch Jan Gehler am Staatsschauspiel Dresden ist das Deutsche Theater Berlin nicht die einzige Bühne, die „Tschick“ – übrigens in der Bühnenfassung des Dresdner Chefdramaturgen Robert Koall – dieser Tage nachspielt. Auch in Karlsruhe, Potsdam oder Nürnberg wird die Coming-of-Age-Geschichte demnächst Premiere feiern.

Wieder, heute, 5.12., 19.30 Uhr, 11. u. 20.12., 19 Uhr

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