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Das DSO-Berlin und Tugan Sokhiev.

© Kai Bienert

Tugan Sokhiev: „La Damnation de Faust“: Die Stille nach dem letzten Ton

Im Juli zieht Dirigent Tugan Sokhiev nach Moskau: Sein neues Stück „La Damnation de Faust“ zeigte er zum Abschied in der Philharmonie.

Sicher, auf so eine Idee kann man als viel beschäftigter Maestro kommen: Wenn ich Ende Juli in Moskau „La Damnation de Faust“ herausbringe, mag sich Tugan Sokhiev gedacht haben, könnte ich dieselbe Oper ja auch zum Abschied vom Deutschen Symphonie-Orchester ansetzen. In der Industrie nennt man das einen Synergieeffekt.

Nur leider hat der Dirigent in seiner Kalkulation nicht bedacht, dass die Berliner Musiker ein auf Konzerte spezialisiertes Ensemble sind. Und es ihm folglich nicht zwingend gelingen muss, dem DSO in der knapp bemessenen Probezeit ein Gespür für die Sängerbegleitung zu vermitteln. Gerade in einem so deklamatorisch angelegten Werk wie Hector Berlioz’ Faust-Vertonung aber muss das Orchester den Puls vorgeben, zum Herzschlag der Protagonisten werden.

Stattdessen aber sind am Samstag in der Philharmonie viele akkurat ausgeführte Noten zu hören, die sich überhaupt nicht zu einer atmosphärischen Grundierung des Geschehens verbinden. Eckig und ungelenkt wirkt das DSO, die Balance stimmt nicht, der Klang bleibt ohne Tiefe, ohne Parfum. Lediglich in den sinfonischen Passagen – und von denen gibt es zum Glück einige – vermag das Orchester seine Qualitäten zu zeigen: Beim Rakoczi-Marsch fühlen sich die Musiker hörbar wohl, ihr Spiel bekommt sofort Leichtigkeit, die Instrumentalfarben leuchten. Charmant wird später das „Menuett der Irrlichter“ daherkommen, Faust und Mephistos höllischer Ritt im Finale mächtig Effekt machen.

Aus dem frühromantischen Epos wird eine Massenveranstaltung

Unklar bleibt auch, warum Tugan Sokhiev dieses frühromantische Opus zu einer Massenveranstaltung machen muss. An die 200 Mitwirkende drängen sich auf der Bühne, der Rundfunkchor schlüpft zwar mit bewundernswerter stilistischer Flexibilität in alle ihm zugedachten Rollen, vermag ebenso rustikal zu zechen wie inbrünstig zu beten – doch welche Lautstärke-Exzesse entstehen dabei, zusammen mit der überdimensionierten Orchesterbesetzung!

Überhaupt ist der Wurm drin an diesem Abend: Erst meldet sich der Tenor-Star Piotr Beczala krank – den Paul Groves zufriedenstellend ersetzt –, dann wird ausgerechnet Mephisto von einem teuflischen Notenständer gepiesackt. Eine volle Dreiviertelstunde muss Ildebrando d’Arcangelo das störrische Ding, das seinen Klavierauszug partout nicht tragen will, beim Singen mit der Hand festhalten – weil weder die Orchesterwarte noch das Management auf die Idee kommen, ihm mit einem funktionstüchtigen Pult zur Hilfe zu eilen. Kein Wunder, dass sein Part ziemlich poltrig ausfällt.

Eine echte Entdeckung ist dagegen Agunda Kulaeva, die Tugan Sokhiev vom Bolschoitheater mitgebracht hat: Wie die Mezzosopranistin den Saal mit Wohlklang flutet, wie sie Marguerites lyrische Szenen nach allen Regeln der Belcanto-Kunst gestaltet, das ist wahrlich von hypnotisierender Schönheit. Und wenn sich ganz am Schluss der Staats- und Domchor zu den anderen aufs Podium quetscht, wenn sich die Kinderstimmen mit denen des Rundfunkchores mischen, dann mündet dieser verkorkste Abend doch noch in eine Gänsehaut-Apotheose, inklusive der so nur in Berlin zu erlebenden, viele lange Sekunden anhaltenden Stille nach dem letzte Ton. Die sich schließlich in einen freundlichen Abschiedsjubel auflöst.

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