zum Hauptinhalt

Kultur: "Turbulenzen und andere Katastrophen": Völlig losgelöst von der Erde - Ein Film von Mike Newell

Mary Bell ist die Art von Frau, bei deren Auftauchen auch souveräne Geschlechtsgenossinnen sich ganz fest in die Oberarme ihrer Partner krallen und nur noch von "wir" sprechen - ein wenig zu laut und ein wenig zu schnell. Denn Mary Bell ist dünn und langbeinig und lasziv, hat verschattete Augen, einen riesigen Schmollmund und eine rauchige Stimme.

Mary Bell ist die Art von Frau, bei deren Auftauchen auch souveräne Geschlechtsgenossinnen sich ganz fest in die Oberarme ihrer Partner krallen und nur noch von "wir" sprechen - ein wenig zu laut und ein wenig zu schnell. Denn Mary Bell ist dünn und langbeinig und lasziv, hat verschattete Augen, einen riesigen Schmollmund und eine rauchige Stimme. Zum Glück hat sie auch einen Mann, Russell, und der ist auch nicht ohne: Er kann nämlich nicht nur Französisch und wie der Teufel Motorrad fahren, 18 Körbe hintereinander werfen und gelassen zugucken, wie seine Frau Mary von anderen Männern mit Blicken verschlungen wird, sondern auch und vor allem schweigen.

Letzteres kommt ihm bei seinem stressigen Beruf zugute, denn Russell Bell ist Fluglotse im Tower von Long Island, der Starts und Landungen auf den drei New Yorker Flughäfen kontrolliert. Und während seine Kollegen alle möglichen nervösen Ticks kultiviert haben, um die Anspannung zu kompensieren, ist Russell die Ruhe selbst. Damit geht er besonders Nick Falzone auf die Nerven, der bis zu Russells Ankunft der Beste war - im Tower und außerhalb, wenn es um die traditionellen Männerdisziplinen Spielen, Trinken, Wetten und Mädels-Anbaggern ging. Und die hübscheste, netteste, umgänglichste Frau hatte Nick sowieso. Doch was nun? Nick kann seine Finger nicht von Mary Bell lassen, zumal die ihre Eheprobleme gerade ihm anvertraut. Und auch Nicks Frau Connie mag sich dem spröden Charme Russells nicht entziehen ...

In "Turbulenzen und andere Katastrophen" erfährt man mindestens genauso viel über gängige Männerbilder wie über den Beruf der Fluglotsen. Wenn auch schleierhaft bleibt, was sich auf den blinkenden, piependen Monitoren tut, bekommt man doch eine Ahnung von den déformations professionelles, die der Schichtdienst in dem lichtlosen, kargen Großraum zeitigen kann. Auch der vergleichsweise gesunde Nick hat bereits gehörige Macken: John Cusack spielt ihn als nervösen Dauerschwätzer, dessen egomanisch-exzentrische Fassade Selbstzweifel und Depressionen verbirgt. Vollkommen glamourfrei, ist er eine gute Besetzung für diese Rolle eines durchschnittlichen Mannes, dessen Gesichtskreis im Grunde nicht größer ist als der Monitor, auf den er täglich starrt. Seine Arbeitszeiten beschränken ihn in seinen Sozialkontakten auf die Kollegen, und untereinander herrscht ein Corpsgeist, der es allen ermöglicht, sich als tolle Kerle zu fühlen.

Ein Beispiel: Nick und drei Kumpels gehen nach der Nachtschicht in einem Diner frühstücken. Sie haben ihre Sonnenbrillen auf, weil sie nach Stunden in der Dämmerung das Tageslicht nicht ertragen können. Sie sind angestrengt und übernächtigt, stehen noch unter Adrenalin und wollen sich eigentlich entspannen. Aber als sich zwei junge Frauen an ihren Tisch setzen, spulen sie angestrengt das "Ich-bin-ein-cooler-Fluglotse"-Programm ab; sie sind nicht wirklich an den Frauen interessiert; sie glauben, sie seien es einander schuldig, Interesse zu mimen, um die Moral nicht zu verderben.

Und dann erscheint Billy Bob Thornton als Russell Bell, dessen graduell abweichendes Verhalten schon genügt, um die ungefestigten Identitäten zu erschüttern. Er ist der Outdoor-Typ und ein Stoiker - damit unterscheidet er sich von der zappelnden Tower-Crew. Da bedarf es kaum noch Angelina Jolie, die nicht nur in diesem Film aussieht wie die Sünde selbst, und hier die Ehefrau darstellt: Bedrohlich, reizvoll und labil scheint sie Russells Stärken und zugleich seine Schwächen zu repräsentieren. Und so glaubt Nick, dass er angreifen kann. Als das Scharmützel zwischen den beiden zum Krieg wird, befinden sich Hunderte von Flugpassagieren über dem New Yorker Luftraum in gnadenvoller Ahnungslosigkeit über ihren Status als Kanonenfutter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false