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Kultur: Über die Grenze gehen

Der Untertitel "Frankfurter Abend" ist doppelt begründet: Er knüpft an eine Tradition des Kleist-Theaters an, wo schon in den achtziger Jahren unter dieser Firmierung brisante Texte von Autoren wie Uwe Saeger und Heinz Drewniok zur Diskussion gestellt wurden.Und er bekundet eine programmatische Ausrichtung: Anstatt zum Berliner Publikum zu schielen, wendet sich das Kleist-Theater entschlossen an die Klientel in der eigenen Region.

Der Untertitel "Frankfurter Abend" ist doppelt begründet: Er knüpft an eine Tradition des Kleist-Theaters an, wo schon in den achtziger Jahren unter dieser Firmierung brisante Texte von Autoren wie Uwe Saeger und Heinz Drewniok zur Diskussion gestellt wurden.Und er bekundet eine programmatische Ausrichtung: Anstatt zum Berliner Publikum zu schielen, wendet sich das Kleist-Theater entschlossen an die Klientel in der eigenen Region.Von dem Dramatiker Werner Buhss stammt die Idee, acht Autoren unter dem Motto "Zwischen Drüben und Hier" um Kurzstücke über die Probleme des Grenz-Landes zu bitten, wo sich manche Widersprüche, die es auch anderswo gibt, besonders heftig zuspitzen.Sich auf stadtbekannte Skandale zu beziehen, war ausdrücklich erlaubt.

Und so läßt Werner Buhss einen korrupten Frankfurter Dezernenten und seinen westdeutschen Geschäftspartner mit einem russischen Auftragsmörder in der Unterwelt darüber streiten, wer in den Himmel darf und wer in die Hölle muß.Oliver Bukowski erzählt von einer abgewickelten Literaturwissenschaftlerin, die für die Katastrophen-helfer bei der Oder-Flut ein Bordell einrichtet.Volker Braun fragt sprachmächtig wie je nach dem Verbleib dessen, was in der DDR "Volkseigentum" war, und bezieht sich dabei auf ein höchst eindrucksvolles historisches Dokument, die Rede des Sioux-Häuptlings Sitting Bull.Diese und weitere Szenen (von Kerstin Specht, Helmut Bez, Lothar Gitzel und Alexej Schipenko) werden verbunden durch Dialoge des Kabarettisten Peter Ensikat, der auf der Oder-Brücke einen Polen und einen Deutschen zusammentreffen läßt, um sich hintergründig über nationale Vorurteile lustig zu machen.Zwar bringt es der Zwang zur Kürze mit sich, daß viele Probleme nur angetippt werden können, wodurch einige Szenen in hinlänglich bekannten Klischees stecken bleiben.Trotzdem: Ohne daß stilistische Brüche und qualitative Divergenzen zugekleistert werden, ergibt sich doch ein Mosaik mit Momentaufnahmen aus einer zerrissenen Welt - und eine Herausforderung an das Theater.

Martin Fischer und Andrea Eisensee, für die Gesamt-Ausstattung verantwortlich, vollbrachten das Wunder, einen Bühnenraum zu erfinden, der acht höchst verschiedene Spielorte kennzeichnen kann und sie doch gleichzeitig als Bestandteile der gleichen brutalen Welt zusammenfaßt.Das Monumentalteil kann die Oder-Brücke bedeuten, auf der sich Lutz Günzel (Deutscher) und Gerhard Reich (Pole) beim Angeln mit ziseliert freundlicher Bosheit die nationalen Vorurteile an den Kopf werfen (Regie Volker Herold).Er beschreibt aber genauso treffend eine Gefängniszelle, ein Bordell oder den Dachboden eines von der Flut eingeschlossenen Hauses.Und er bietet den fünf beteiligten Regisseuren (Gesamtleitung Michael Funke) eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten.

Zu den interessantesten Texten gehört "Zurück nach Züllichau" von Lothar Gitzel.Für eine alte Frau, die sich gegen die ministeriell angeordnete Zwangs-Evakuierung bei der Oderflut stemmt, verschwimmt die Gegenwart mit ihren traumatischen Erlebnissen bei der Ausweisung aus den ehemals deutschen Ostgebieten im Jahre 1945.Der Regisseur Roland May läßt die Zeitebenen ineinanderfließen und arbeitet gekonnt mit gleitenden Bildern und kontrastierenden Momenten der Stille.Durch die verfremdende Besetzung der alten Frau mit einem jungen Schauspieler wird jede Sentimentalität vermieden.Thomas Ecke (Frau), Ralph Hensel (Grenzschutzmann) und Andreas Hueck (der verstorbene Ehemann) geben der Geschichte eine berührende Intensität.

Der Volker-Braun-Text "Halbe Stadt" dagegen wird um seine Wirkung gebracht, weil ihn Ralph Hensel in der Inszenierung von Volker Herold mit einem unmotivierten Gefuchtel in der Art einer erfundenen Taubstummensprache begleiten muß.Umgekehrt gelingt es durch die Regie mehrfach, schablonenhaft simplen Texten durch kabarettistische Zuspitzungen zu theatralischer Wirkung zu verhelfen: Alexej Schipenkos "Trash-Farce" "Babki" um eine Ärztin aus Kiew, die von ihrem russischen Zuhälter zur Prostitution erpreßt wird, besteht nur aus Klischees, ohne daß die Häufung zur künstlerischen Überhöhung führen würde.Birgit Funke inszeniert den Text mit Tempo und drastisch überzeichnenden Mitteln als frechen Comic.Ähnlich verhält es sich mit dem "Rausschmeißer" des Abends.Die korrupten Staatsdiener und Geschäftsleute, die Werner Buhss mit skrupellosen Mafiosi in der Vorhölle zusammenführt, entstammen ziemlich ungefiltert der schlimmen Realität.Aber Michael Funke überhöht die Figuren zur Kenntlichkeit, indem er sie in verkehrt herum benutzten Kostümen wie untote Gespenster zappeln und wanken läßt.So viel Theaterphantasie und Mut zur Übertreibung hätte auch mancher anderen Szene des "Frankfurter Abends" gut angestanden.

DIETER KRANZ

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