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Kultur: Über die Grenze

Israel, Libanon und die Hisbollah – eine Antwort auf Abbas Beydoun/ Von Moshe Zimmermann

So erklärt sich Mr. Durchschnitts-Israeli die Lage: Im Jahr 2000 stellte Israel seine Friedensbereitschaft unter Beweis; das israelische Militär räumte die von ihm besetzte Pufferzone im Südlibanon und zog sich zurück. Doch nicht die libanesische Armee, sondern die Hisbollah – ein muslimisch-fundamentalistischer Staat im Staate, der Israel vernichten will – etablierte sich dort, baute Bunker, häufte Raketen auf und attackierte gelegentlich den Norden Israels. Nach der Entführung zweier israelischer Soldaten und dem bewaffneten Überfall der Hisbollah vor zwei Wochen konnte Israel nicht mehr untätig bleiben. 2000 Katjuschas fielen inzwischen auf israelische Orte; sie beweisen, dass die Hisbollah von der Vernichtung Israels nicht nur spricht, sondern sie auch in die Tat umsetzen will. Israels Ziel muss also heißen: Die Hisbollah darf nie mehr in der Lage sein, Israel in Schach zu halten. Da die Hisbollah ihre Angriffe aus dem Libanon startet, muss Israel seine Gegenoffensive auf libanesischem Gebiet führen.

Schade, denkt Mr. DurchschnittsIsraeli, dass die libanesische Regierung bisher nicht entschieden gegen Hisbollah vorging. Aber deren Machtlosigkeit kann kein Alibi sein. Auch die UN-Resolution 1559 von 2005 wurde nicht eingehalten, ergo musste Israel entschlossen reagieren. Auch wenn es besser wäre, Israel könnte die Hisbollah bekämpfen, ohne libanesische Zivilisten zu töten.

Diese Auslegung des Geschehens steht im krassen Gegensatz zu Abbas Beydouns aufrichtiger Schilderung der Lage (Tsp. vom 25. 7.). Nicht weil der libanesische Schriftsteller oder Mr. Durchschnitts-Israeli die Fakten fälschen, sondern weil ihre Auslegung von zwei unterschiedlichen Narrativen abgeleitet ist. Jeder kann sich, mit Recht, als Opfer der Lage und des falschen Handelns der anderen verstehen. Jede Seite erhält, trotz globalisierter Medienlandschaft, einseitige Informationen. Der eine sieht die Bilder zerstörter Häuser im Libanon und denkt an getötete unschuldige Zivilisten. Der andere denkt an die eigenen Trümmer und die gegen ihn gerichteten Raketen. Der eine stellt sich unter Massaker den Luftangriff auf eine libanesische Stadt vor, der andere die Tötung seiner Landsleute durch Katjuscha-Raketen in Haifa. Für das Leiden der anderen bleibt da meist wenig Mitgefühl.

Gerade deshalb ist die Lektüre Abbas Beydouns für Israelis empfehlenswert. Nicht allein, weil die Perspektive der anderen für ein ausgewogenes Bild unentbehrlich ist, sondern auch wegen Beydouns kaum zu widerlegender Schlussfolgerung: So oder so wird die Hisbollah in den Augen der Araber symbolisch gesiegt haben. Was also bedeutet in diesem Krieg das Wort Sieg?

Der Autor lehrt Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem und lebt in Tel Aviv. Er schreibt an dieser Stelle im Wechsel mit Abbas Beydoun.

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