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Kultur: Überdruss im Überfluss

Gefängnis für alle: Michael Thalheimer schießt im Deutschen Theater Berlin „Die Fledermaus“ ab

Wahrscheinlich muss man sich das Ganze als Ausnüchterungszelle vorstellen. All diese Typen, die sich unentwegt durch den roten Vorhang auf die winzige Vor-Bühne quälen – der Lappen bleibt bis zum Ende unten, vielleicht lag dahinter einmal eine lustigere Welt –, all diese Untoten, Entnervten und heillos Gestressten haben nur eines im Sinn. Sie suchen ihr Hirn. Sie haben sich schlapp gesoffen. Sie wissen nicht mehr, wer sie sind, was sie hier sollen. Amüsement als Höchststrafe. Als müsste diese Operettengesellschaft noch einmal furztrocken durchexerzieren, was einmal ihr Leben war und ihr Elixier.

Michael Thalheimer fleddert „Die Fledermaus“. Vom Wiener Walzerhimmel – der immer ein blauer Schmäh war – in die Konzeptionshölle des Deutschen Theaters. Schon die Ouvertüre – oder was davon übrig blieb – ist ein erbarmungsloser Katzenjammer. Hammondorgel und E-Piano prügeln, schreddern, schaufeln sich durch den Wunschkonzertklassiker des Johann Strauß. Dieses Wuppen, Brausen, Zischen, Schnaufen: Auch die beiden Instrumente, die das Orchester ersetzen, sind von der merkwürdigen Atemnot dieses Theaterabends angesteckt.

Und der spielt sich tatsächlich ganz und gar auf den paar Quadratmetern vor dem Vorhang ab, auf drei spukhässlich-braunen, super unbequemen Kunstledersesseln (Ausstattung: Olaf Altmann), hier bricht man nicht einmal die langweiligste Ehe. Und auch das demonstriert Thalheimer mit der Rigidität eines Bußpredigers: Diese Fledermäuse, Flattermänner und -frauen sind nicht bloß Alkoholruinen, sondern auch lustlose Geschöpfe, die bloß aufeinander losgehen, weil irgendein blödes Ritual es verlangt.

Nüchterner nie! (Vielleicht kann das DT seine „Fledermaus“ einmal zu Silvester ansetzen, denn danach hat man garantiert seinen Spaß.) „Glücklich ist, wer vergisst“: Musikalisch ist diese Operette mit Schauspielern wahrscheinlich so katastrophal, wie der Regisseur sich das gewünscht hat. Nur: Es ist nicht komisch. Kaputtmachen kann eine tolle Sache sein, eine grandiose Lachnummer; der Opernregisseur Herbert Wernicke hat vor zwanzig Jahren im Berliner Theater des Westens das „Wiener Blut“ mit zwei Flügeln wunderbar zum Kochen gebracht. Aber wenn der Funke nicht überspringt, wenn der Saal schweigt, dann wird es zur Qual. Weil absichtlich schlecht Singen eine so große Kunst ist, wie einen Vollrausch zu spielen.

Fluch des Konzepts: Man kapiert ja, wie es sein könnte. Wie bei Labiche oder Feydeau, den französischen Salonklamotten des 19. Jahrhunderts, die in Berlin einst einen anderen Strauß (Botho)inspirierten. Wenn man im Theater immerzu über Genre, Handwerk und Dramaturgie nachzudenken gezwungen wird, verdirbt das vollends die Laune.

Eine Viertelstunde, dann ist das eiskalte Feuerwerk abgebrannt. Auftritt Nina Hoss als Rosalinde im giftgrünen Kleid (Kostüme: Katrin Lea Tag). Sie wienert wunderbar, sie könnte mit ihrem scharfen Sopran Gläser und Flaschen zersingen, sofern es welche gäbe. Dies ist aber Einbildungstheater, zum Teufel mit den Requisiten! Auftritt Lotte Ohm als Dienstmädchen Adele. Unterschichtentemperament! Sie trägt ein Gesangsorgan vor sich her, dass selbst die penetrante Hammondorgel erblasst.

Der Irrsinn beginnt vielversprechend, zu viel versprechend: obendrein mit einem Samuel Finzi, der mit blonder Tolle und Oberlippenbärtchen aus dem Zoo entlaufen scheint; von dort, wo sie gefährlich-erotische-balkanische Tenöre in Käfigen halten. Finzis Striptease vor Rosalinde ist, auch wenn das Wort hier nicht passen will, der Höhepunkt der Veranstaltung. Zu komisch, zu schnell, zu gut – weil dann nicht mehr viel kommt. Nur noch Langeweile. Und Krampf.

Zunge rausgestreckt, Augen verdreht, die Rocker-Frisur anschwellend wie ein Hahnenkamm: Ulrich Matthes als Gabriel von Eisenstein, Rosalindes Gatte auf Abwegen, zieht die Schublade des komischen Fachs so weit auf, dass alle Schauspielkunst zu Boden fällt. Was für eine Charge, wenn man nicht wüsste, dass es wirklich Ulrich Matthes ist, der sich am Hals von Nina Hoss zu schaffen macht. Der Vampir aber heißt Thalheimer, er hat der „Fledermaus“ alles Blut und Leben ausgesaugt.

Es gab wohl nie einen stummeren, angewiderteren Prinz Orlofsky als Horst Lebinsky. Sitzt da wie versteinert, kaum dass er noch eine Grimasse zustande bringt. Singen? Ooch nö. Und jener Dr. Falke, der das umständliche Verwechslungsspiel mit der fingierten Gefängnisstrafe inszeniert, um sich an seinem Freund Eisenstein für einen dummen Streich zu rächen – er kann über die geglückte Revanche nur gequält lächeln: Michael Benthin macht ein Gesicht wie drei Jahre Regenwetter. Und was treibt Sven Lehmann – als Frosch – dazu, zum Finale wie auf dem Kasernenhof herumzubrüllen? Alle haben verloren. Alle sind düpiert. Alle ab in den Knast! Aber das wusste man eben schon nach zehn, fünfzehn Minuten. Hier treffen sich ein paar Versager, die durch eine alte, alberne Geschichte stolpern und sich einen Dreck dafür interessieren. Man sehnt sich geradezu nach der blöden „Spaßgesellschaft“, deren Ende das Theater seit Jahren verkündet.

Wahrscheinlich ist Thalheimer kein Regisseur für Komödien. Was nicht weiter schlimm wäre – landete diese „Fledermaus“ nicht so bleischwer und prominent vor unseren Füßen. So geschichtslos. Das muss man zugeben: Selten hat das Theater den Überdruss an sich selbst so konsequent zur Schau gestellt. Wenn überhaupt, ist das die Tragödie.

Wieder am 7. und 8. Mai

Rüdiger Schaper

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