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Kultur: Überhaupt: früher!

Christine Lemke-Matwey schwitzt auf dem Grünen Hügel

Die Hitze, natürlich. Gesprächsthema Nummer eins. Die reizenden Damen vom Bayreuther Pressebüro stellen für die „Walküre“ 40 Grad in Aussicht – und trösten im selben Atemzug mit „gräftigen Gewiddern“ rund um den „Siegfried“. Der Kollege J. K. aus München versichert einem im Schatten der Breker’schen Wagner-Büste mit bübischem Lächeln und ergiebig perlendem Redefluss, dass es beim Peter-Hall- „Ring“ Anno 1982 noch viel, viel heißer gewesen sei (überhaupt: früher!). Und anlässlich der Eröffnungsvorstellung mit dem „Fliegenden Holländer“ hat dann ausnahmsweise sogar die Bundesfamilienministerin die Haare hochgesteckt.

So viel vorab wie in diesem Sommer gab es selten. Gewiss, auch bei Schlingensiefs „Parsifal“ roch es 2004 nach Skandal, und auch bei Marthalers „Tristan“ hat’s rumort. Die Bayreuther Gerüchteküche bietet, wenn es darum geht, die Welt-Wagner-Stimmung anzuheizen, ein verlässliches Instrumentarium. Tankred Dorst aber, der Regisseur des neuen „Ring“, wäre kein gestandener Dramatiker, wenn er sich dieses Heft aus der Hand nehmen ließe. Punktgenau zum „Rheingold“ also erschien gestern das Dorst-Hörbuch zum Dorst-Buch zur Dorst-Inszenierung. Während andere ihre Bayreuth-Erfahrung langwierig verarbeiten, künstlerisch wie psychotherapeutisch, erzählt Dorst in seiner „Fußspur der Götter“ frank und frei, was er so imaginiert hat im Kampf mit dem Gesamtkunstwerk und wie das Ganze eigentlich gemeint gewesen sein sollte, könnte, dürfte. Das Dokument eines „unsichtbaren Theaters“, um in Wagners Jargon zu bleiben? Bekenntnisse eines Schriftstellers, fantastisch-unverbindlich, hübsch geschrieben?

Nun, Papier ist bekanntlich geduldig, geduldiger jedenfalls als Sänger, Dirigenten oder 86-jährige Festspielleiter. Und die Publikumsarbeit der nächsten Tage besteht sicher nicht darin, mit dem Buch auf den Knien die Regie an ihren Absichten zu messen. Ein schales Gefühl aber bleibt, wendet sich doch die ganze Tetralogie (die Richard Wagner hier vor exakt 130 Jahren aus der Taufe hob) gegen den verordneten Blick, gegen vorformuliertes Hören. Erschreckend schal auch, musikalisch, der von Claus Guth inszenierte Eröffnungs-„Holländer“: ein siamesisches Zwillingspaar im Käpt’n-Iglu-Kostüm. Richtig ernst wird’s erst einen Tag später.

Warum beginnen die Festspiele überhaupt mit dem „Holländer“ und nicht gleich mit dem „Rheingold“? Logistische Gründe: Der „Ring“ wird stets im Viererpaket geschmiedet, auch für die Promis. Das heißt, Frau von der Leyen & Co. müssten bis zur „Götterdämmerung“ ausharren, kunst- und anstandshalber. Das wollen die wenigeren. Ansonsten kaum Neues. Das zwei Kilo schwere Festspielbuch wird erstmals in einer weiß-blauen Stoffumhängetasche gereicht: garantiert raschelfrei. Zur Not auch als Schweißtuch zu gebrauchen.

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