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Kultur: Um den Schlaf gebracht

Spät entdeckt: Marlene Dietrichs „Nachtgedanken“

Ihre letzten Jahre verbrachte die Diva in einer Art selbst gewählter Einzelhaft: Paris, 8. Arrondissement, 12 Avenue Montaigne, Apartment 4 G 2. Nachdem sie 1979 in ihrer Wohnung gestürzt war, beschloss Marlene Dietrich, sie nie mehr zu verlassen. Sie konnte nicht mehr laufen, die lange Karriere hatte sie müde gemacht. Außer ihrer engsten Familie wollte sie niemanden mehr sehen. Gelegentlich machte die Dietrich – gegen Geld – eine Ausnahme von dieser Regel. Maximilian Schell durfte sie für sein Portrait „Marlene“ interviewen, aber nicht filmen. Die Begründung wurde zum legendären Dietrich-Bonmot: „Ich bin zu Tode fotografiert worden.“ Die raunend-brüchige Stimme, mit der die Schauspielerin in Schells Film von ihrem Leben erzählte, schien schon aus einer anderen Welt zu stammen. Bis zu ihrem Tod im Mai 1992 blieb Marlene Dietrich unsichtbar: ein Phantom ihres eigenen Ruhms.

„Geh schlafen / Damit dein rastloser / Verstand / Nicht wieder / Überstunden macht / Geh einfach schlafen / Nimm Tabletten/ Nimm Liebe / Wenn du welche kriegen kannst / Und schlaf / In Armen / Oder einsam / Ohne jemand / Der dich hält / Aber geh schlafen / Du wirst schon noch / Da sein am Morgen.“ Marlene Dietrich litt in ihren letzten Jahren unter Schlaflosigkeit, ihre Traurigkeit und ihren Weltschmerz versuchte sie mit Alkohol und Tabletten zu betäuben. Auf ihrem Nachttisch lag immer ein Stapel Briefpapier, und wenn trotz des Alkohols und der Tabletten der Schlaf nicht kam, notierte die Diva darauf, was ihr gerade durch den Kopf ging. Als „Nachtgedanken“ erscheinen diese Texte jetzt in Buchform.

Der Titel ist bei Heine ausgeliehen, dessen Pariser „Matratzengruft“ nur wenige hundert Meter von Dietrichs Apartment gestanden hatte. „Ich wünschte / Ich wäre Heine / Um Dir / Zu sagen / Du bist / Die Eine / Die mir / Am Herzen / Liegt“, schreibt die Heine-Bewunderin in einem Text, der ihrer Tochter Maria Riva gewidmet ist. Etwas hochtrabend hat der Verlag ihre aus dem Englischen und Französischen übersetzten Notate exakt so setzen lassen, wie die Schauspielerin sie hingeschrieben hatte. So sehen sie aus wie Gedichte, aber eigentlich sind es doch nur die Grübeleien einer sehr berühmten, sehr egozentrischen und auch sehr einsamen Frau. Interessanter als diese lyrischen Splitter sind die Aufzeichnungen, die sie begleiten: Dietrichs zu Miniaturen verdichtete Porträts ihrer Freunde und Bekannten.

Marlene Dietrich war eine genaue Beobachterin, für die Gnadenlosigkeit ihres Urteils fürchtete man sie. Über Charlie Chaplin schreibt sie: „Im richtigen Leben war er überhaupt nicht komisch. Ziemlich langweilig mit all seinen Geschichten über sexuelle Eroberungen. Seine mangelnde Bildung machte den Kontakt meist schwierig. Wenn nicht unmöglich.“ Jean Gabin, der großen unglücklichen Liebe ihres Lebens, trauert sie mit wenig schmeichelhaften Formulierungen nach: „Mit der Peitsche in der Hand verlangte er Treue, die seiner eigenen gleichkam. Er war grob zu seinen Opfern, körperlich wie auch in der Liebe.“ Aber das Lob überwiegt, es gibt Huldigungen für Alberto Giacometti, Katherine Hepburn, Frank Sinatra und General Patton, Dietrichs „militärische Vaterfigur“. Besonders schön ist der Nachruf auf Judy Garland, die traurige Musical-Queen, die 1969 gestorben war: „Wenn du / Lachst / Springt / Das Herz / Mir / Aus der / Brust / Und meine ganze Liebe / springt mit / Und lässt / Mich leer / Zurück / Bis ich / Dich / Wieder lachen / Hör.“ Marlene Dietrich war nicht verbittert, als sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, beteuert Maria Riva im Vorwort. „Sie hatte es einfach satt, Marlene Dietrich zu sein.“

Marlene Dietrich: Nachtgedanken, hg. v. Maria Riva, übersetzt v. Reiner Pfleiderer, C. Bertelsmann, München 2005, 176 S., 20 €. Am Samstag signiert Maria Riva das Buch im Berliner KaDeWe, 13 Uhr.

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