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Kultur: Umschwärmt

"Caridad" heißt auf Kuba: Barmherzigkeit und Sinnlichkeit zugleich.Wie jene katholische Jungfrau der Kupferminen, die in der Nähe von Santiago als Nationalheilige, von den Anhängern afrokubanischer Kulte jedoch als eine Aphrodite verehrt wird.

"Caridad" heißt auf Kuba: Barmherzigkeit und Sinnlichkeit zugleich.Wie jene katholische Jungfrau der Kupferminen, die in der Nähe von Santiago als Nationalheilige, von den Anhängern afrokubanischer Kulte jedoch als eine Aphrodite verehrt wird.Auch Caridad Hierrezuelo huldigt ihren eigenen Göttern: Das Repertoire aus alten Sones, rasanten Guarachas und schwermütigen Boleros interpretiert sie "mit der Erlaubnis von Elegguá und Yemayá".Und so tummeln sich diese angerufenen Heiligkeiten munter zwischen den Saiten von Gitarre und Tres, in den Rumbarasseln und selbst unter dem Leder der Bongos.Caridad Hierrezuelo stammt aus dem Osten Kubas, wo das Zusammenspiel afrikanischer Rhythmen mit den Weisen spanischstämmiger Bauern entstanden ist: der Heimat des Son und der Unabhängigkeitskriege, der Wiege von Lebenslust und Rebellion."La Guarachera de Oriente" nennt sich die Sängerin: weil sie im 6/8-Takt die saftig-süßen Früchte ihres Landes preist, zum Beispiel die Ananas, die dem Volksmund eine beliebte Metapher für das weibliche Geschlecht geliefert hat.Guaracha-Texte sind fast immer zweischneidig, und bei derlei scharfzüngigen Anspielungen müßte dem politisch-korrekten Publikum oder gar der farblosen Vorgruppe, der Berliner Frauen-Salsa-Band Burundanga, eigentlich die Schamröte ins Gesicht steigen.Doch die Sprachkenntnisse sind beschränkt, der Rhythmus verzückt, und Caridad, in einem schwarzen Paillettenkleid mit roter Federboa, wirkt auf der Bühne äußerst elegant.Außerdem würde man einer 73jährigen Sängerin hierzulande wohl eher mit kraftlosen Worten wie "rüstig" oder "vital" begegnen als ihr lyrische Geriebenheit zu unterstellen.Aber auf Kuba verhält es sich mit den Musikern wie mit dem Rum: je älter, desto würziger, desto berauschender.Caridad, die Guarachera aus dem Osten, klingt dabei mit ihrer mächtigen Stimme wie Celia Cruz zu Beginn der fünfziger Jahre, hat sich allerdings, gegenüber der heutigen "Salsa-Queen" im New Yorker Exil, ihre Authentizität bewahrt: Haare, Wimpern und Fingernägel sind bei Hierrezuelo kein kosmetischer Ersatz.Und in ihrer Musik schwingt diese seltene Magie, mit der Caridad die Insel im Tegeler Hafen vorübergehend in einen Hain aus Königspalmen verwandelt - o barmherzige Jungfrau der Guaracha!

ROMAN RHODE

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