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Kultur: Unbekannt verzogen

Exportschlager Berlin: Wie sechs Künstler mit Wohnsitz an der Spree in Mexiko-Stadt landen – und keine Zeit haben

Björn Dahlem trägt zur Vernissage einen hellen Anzug und eine düstere Miene. Sie wird immer finsterer, je länger die Eröffnungszeremonie im Museo Rufino Tamayo, einem der wichtigsten Museen für zeitgenössische Kunst in Mexiko-Stadt, dauert. Vor ihm stehen: der deutsche Botschafter, der Museumsdirektor, der Leiter des örtlichen Goethe-Instituts und ein Herr vom „Verband der Deutschen Wirtschaft für Kultur“. Doch Dahlem versteht kein Wort. Die Begrüßungsreden werden auf Spanisch gehalten. Und dann: Man vergisst, ihn und seine fünf Künstlerkollegen den rund 250 Besuchern der Vernissage vorzustellen. Als wütender Dandy stapft der 33-jährige Bildhauer in seinen Schlangenlederstiefeln anschließend durch die windigen Ausstellungshallen. Raunzt den erschrockenen Leiter des Goethe-Instituts an, das die Ausstellung maßgeblich mitorganisiert hat. Später in der Nacht, in einer rustikalen Cantina mit Neonlicht, vertragen sie sich wieder.

Dahlem gehört zu einer Gruppe von acht jungen Künstlern, die in Mexiko- Stadt noch bis Mitte Mai unter dem Titel „Asterismo – Künstler aus Berlin“ ausstellen. Die Schau soll die Kunstszene der deutschen Hauptstadt beleuchten. Deren Ruf als kreativer Brüter hat sich bis nach Lateinamerika herumgesprochen, und es scheint, als genügte für die Teilnahme der richtige Wohnsitz. „Und einer gemeinsamen Generation sollten die Künstler angehören“, sagt Paola Santoscoy, die ambitionierte Kuratorin der Schau. „Sie haben die Teilung Berlins noch erlebt, sind aber nach dem Fall der Mauer erwachsen geworden. Es sind die Narben, die Berlin interessant machen.“

Die 31-Jährige sitzt am Abend vor der Vernissage auf dem Balkon des Tamayo. Der flache Betonbau liegt inmitten der riesigen Parkanlage von Chapultepec. Im Hintergrund rauscht der Verkehr wie eine endlose Lawine. Santoscoy ist aufgeregt. Die Ausstellung sei „sehr deutsch geraten“, sagt sie. Warum? Die Kuratorin überlegt nicht lange: „Kompromisslose Symmetrie, fehlende Farben, Dauermelancholie, konzeptionelle Strenge.“

Zwei Stockwerke tiefer beweist der Bildhauer Tilmann Wendland unterdessen, was deutsche Hartnäckigkeit ist. Er lässt von zwölf mexikanischen Museumsarbeitern eine fragile Installation errichten. Seine Idee: eine Eingangspforte. Mehrere Loopings aus zusammengeklebten Papptafeln hat er entworfen. Das Modell gleicht einer Carrera-Bahn ohne Graden. Doch das Material will nicht so wie der 37-jährige Potsdamer. Die Pappe fällt immer wieder in sich zusammen. Wendland insistiert, ein Übersetzer schwitzt, die Arbeiter recken die Arme. Drei Nächte geht das so. Dann, drei Stunden vor der Vernissage, ist die Bastelarbeit fertig. „Ich bin hier ein Risiko eingegangen“, sagt Wendland, „die anderen kommen mit bewährten Arbeiten.“

Deshalb hat er auch keine Zeit, um mit seinen Kolleginnen Isa Melsheimer, Nevin Aladag und Wiebke Loeper durch die 20-Millionen-Einwohner-Metropole zu streifen, die genau das Gegenteil deutscher Kunst ist. Auf den Straßenmärkten und in gigantischen Markthallen, in denen Handwerksarbeiten, Ramsch aus China, Zaubermittel und Tonnen von Früchten und Fleisch angeboten werden, ziehen die drei groß gewachsenen Künstlerinnen die Aufmerksamkeit auf sich. Doch auch sie verstehen kein Wort der zahlreichen Komplimente, die man hinter ihnen herruft. Später sagt Wiebke Loeper, dass man als international agierende Künstlerin nur wenig Zeit habe, sich einzulassen auf einen Ausstellungsort. Die 33-Jährige klingt wie eine Kunstsöldnerin. Sie kommt gerade aus Los Angeles, wohin sie wieder reisen wird, um ein paar Arbeiten einzupacken und in den Flieger nach Berlin zu steigen.

Den Mexikanern wird sie genau die Selbsterforschungstristesse hinterlassen, die man von Berlin erwartet: blasse Fotografien aus dem herbstlichen Mitte. Die baumfreie Linienstraße, ein herunter gekommenes Schulgebäude, Gras. Loeper hat die Arbeit „Lad“ genannt, ein Begriff aus dem Plattdeutschen für eine Kiste, in der man die liebsten Dinge aufbewahrt. Die mexikanische Museumsangestellte, die das Wort übersetzen sollte, hat sich drei Tage lang damit herumgequält.

Für das Werk „Zweifel“ von Lars Ramberg dauerte es wohl nicht ganz so lang. Der Norweger hatte im vergangenen Jahr das Wort in riesigen Lettern auf den Palast der Republik montiert, sein Beitrag zur Palastabriss-Debatte. Dann filmte er das Gebäude ab. Doch die mexikanischen Zuschauer werden mit der Videoprojektion allein gelassen, weil weder die Bedeutung des Gebäudes erklärt, noch auf sein Verschwinden hingewiesen wird. Die Zeitschrift „Proceso“, dem „Spiegel“ vergleichbar, verriss die Ausstellung auch deswegen. Rambergs Werk sei „das Interessanteste“ an der „bedauernswerten“ Schau, heißt es: „Die Mehrheit der Künstler überrascht durch Ineffizienz“.

Die Vernissagegesellschaft verlagert sich schnell vor die Tür. Was soll man anfangen mit den Dias von Spielplätzen auf der ganzen Welt, die der Österreicher Peter Friedl zeigt? Björn Dahlem wiederum hat mehrere Fernseher auf ein Holzgerüst gestellt. Abgefilmte Fotos von Ufos laufen. „Der Ufo-Forscher Erich von Däniken behauptet, die Kunst der Maya sei von Außerirdischen inspiriert worden“, sagt der Künstler.

Am nächsten Tag fahren einige der Künstler zu den Pyramiden von Teotihuacan. Auf den steilen Treppen der aztekischen Monumentalbauten wird ihnen schwindelig.

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