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Kultur: Und der Marxismus triumphiert Wie ich „Borat“ sehe /

Von Bora Cosic

In der Zeit des weichen jugoslawischen Kommunismus war eine Ideologie in Kraft, auch eine kommunistische, das Bild von Karl Marx, riesengroß, flatterte am höchsten Palast Belgrads, während der Maifeiertage. Meine Generation schaute jedoch lieber alte Filme aus den dreißiger Jahren an und fragte sich, ob die verschrobenen Komiker, die Marx Brothers, etwas mit dem Autor des dicksten Ökonomiebuchs in der Geschichte zu tun haben. In ihren Filmen ist allerdings nicht die Rede von der Akkumulation des Kapitals, Chico spielt Klavier, Groucho spricht in Paradoxen, Harpo, der Harfenist, ist eigentlich stumm, und doch bestätigten sie uns alle zusammen, dass es eine Welt gibt, eine unverknöcherte und weniger strenge, eine in ihrem Wahnsinn hinreißende. Meine Generation wurde schließlich marxistisch, nur auf andere Art.

Viele werden bemerken, dass der zeitgenössische amerikanische Verrückte, der falsche kasachische Prophet, der schreckliche Skandalmacher Borat ein neuer Groucho ist: Er sieht ihm ähnlich, redet Blödsinn, geht wie er. So dringt der Marxismus in die amerikanische Gesellschaft vor, wenn sie ihn am dringendsten braucht. Ohne ihn keine Aufregung, keine Wissenschaft, keine Fröhlichkeit. Was wäre ohne die Oktoberrevolution, ohne den Film „Eine Nacht in der Oper“? So werden wir plötzlich alle in einen Kosmos geschleudert, fern des faulen Alltags, das Kommunistische Manifest der globalen Filmkomödie ist unsere einzige Rettung.

Wie sich Borat, der kasachstanisierte Amerikaner, ausdrückt, in einer Halbsprache am Rande des Sinns, gleicht den Automatismen der Surrealisten, sein Verhalten ist dadaistisch, er ist nicht nur den großen Zirkusleuten früherer Epochen, sondern auch James Joyce verpflichtet. Borat zerschlägt die Mythologie der amerikanischen Familie, schäkert mit einer Blondine und behauptet, sie sei seine Schwester, lobt ihre Hurerei. Aber das hat auch Groucho Marx schon getan, als er zwei feinen Damen zuredete, ihn zu heiraten. „Lassen Sie uns heiraten. Ich erweise Ihnen die Ehre.“ „Aber um welche von uns beiden werben Sie denn?“, fragte eine. „Um Sie beide“, sagte Groucho. „Ich habe schon genug von den konventionellen Ehen. Eine Frau für einen Mann, das war zur Zeit Ihrer Großmutter genug, aber wer würde Ihre Großmutter heiraten? Keiner! Nicht einmal Ihr Großvater.“

So geht dieser Abtrünnige der Alltäglichkeit umher, und eigentlich decken seine nervösen Anfälle auf, dass sich auch die anderen Leute von der Normalität abgewendet haben. So fragt Borat, was passieren würde, wenn er mit einem Auto in eine Menge von Zigeunern führe, ob die Motorhaube dabei allzu sehr beschädigt würde. Die hartherzigen Amerikaner denken natürlich nicht an die Menschen, sondern fragen sich ebenfalls, welchen Schaden das Auto nähme. Das ist ein recht grausames Bild von unserer Welt. Auch Groucho Marx spielt in einem seiner Filme einen Herrscher, der vom Fenster seines Palastes aus blindlings in die Menge schießt. Ein Adjutant ermahnt ihn: „Aber Sir, Sie schießen ja auf die eigenen Soldaten!“ Groucho bietet ihm fünf Dollar an und sagt halblaut: „Das bleibt unter uns!“

Ich meine, all das sollte ebenfalls unter uns bleiben. Weil wir wissen, was es für eine Welt ist, in der wir leben, die Erscheinung eines fröhlichen Narren kann für den einen eine Warnung sein, für wieder einen ein Zeichen moralischer Nähe, für einen anderen eine Freude. Ich bin für Letzteres. Weil ich lieber mit dem verrückten Hutmacher aus „Alice im Wunderland“ Umgang pflege als mit rohen Soldaten, die fremde Totenschädel umherkicken.

Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber

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