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Kultur: Und die Fibel hat doch Recht Berliner Brecht-Tage 2004:

Woher kommen die Kriege?

Als Brechts berühmtes Antikriegsdrama „Mutter Courage“ 1941 in Zürich uraufgeführt wurde, teilte der Regisseur dem Autor mit, das Publikum sei erschüttert gewesen. Brecht soll aus dem finnischen Exil umgehend zurück telegrafiert haben: „Stück sofort absetzen“. Das Publikum sollte nicht erschüttert sein, sondern etwas lernen. Dass Krieg eine Folge von Gewinnsucht ist. Und dass die Überzeugung der Courage, der Mensch könne „nix machen“, nicht der Schluss sein darf. Was aber kann der Mensch machen?

Europäische und nicht zuletzt deutsche Identitäten werden spätestens seit der Besetzung des Irak auch entlang der Demarkationslinie von Pazifismus und Bellizismus neu verhandelt. Da liegt es nahe, dass sich die diesjährigen Brecht-Tage das Thema „Brecht und der Krieg. Widersprüche damals, Einsprüche heute“ gestellt haben. Vom 9. bis 13. Februar werden im Literaturforum im Brecht-Haus der Sozialwissenschaftler Herfried Münkler und der Publizist Friedrich Dieckmann die neuen „globalen Kriege“ beleuchten. Der Theaterwissenschaftler Ernst Schumacher und der Filmemacher Peter Voigt widmen sich der Verkoppelung von „Krieg und Krieg in den Medien“. Brechts Lehrstückkonzeption wird von Reiner Steinweg und Sabine Kebir auf seine mögliche Aktualität befragt. Und Käthe Reichel diskutiert mit Günter Kunert und Peter Palitzsch über die „virtuelle Kriegserfahrung“ anhand von Brechts „Kriegsfibel“.

Dabei liegt durchaus nicht auf der Hand, dass die Kriege der Gegenwart vor der Folie Brecht besser verstanden werden könnten. Denn Krieg ist für Brecht in erster Linie eine logische Konsequenz der Eigentumsverhältnisse. Mit dem Kapitalismus würde sich en passant auch die Kriegsgefahr erledigen. Gerade das „Courage“-Stück demonstriert ja den „gesellschaftlichen Kausalnexus“ – wie Brecht zu sagen liebte – von Geschäftemachen und Morden. Da der Kapitalismus sich auf absehbare Zeit nicht zu erledigen scheint, dürfte das „Aufklärungspotenzial“ dieser Brechtschen Analysen vergleichsweise gering sein.

Interessanter ist die Frage, inwieweit Brechts Experimente mit dem Lehrstück neu produktiv werden könnten. Was gesellschaftliche Lernprozesse angeht, war allerdings schon Brechts eigener Lehrstück-Praxis nur mäßiger Erfolg beschieden. Dagegen wirkt das ästhetische Verfahren der Bild-Text-Montage in der „Kriegsfibel“ noch immer attraktiv. Gemeinsam mit Ruth Berlau hatte Brecht in den Vierzigerjahren Fotografien von Nazigrößen, Kriegsverheerungen und ihren Opfern gesammelt und sie mit vierzeiligen Epigrammen versehen. Das dokumentarische Material, kommentiert von Brecht, erhellt mehr als der didaktische Furor der „Mutter Courage“.

In Sachen Lernfähigkeit liefert freilich Brecht selbst das beste Beispiel. Der hatte sich als Augsburger Schüler einen kurzen Moment von der allgemeinen Kriegseuphorie des Jahres 1914 anstecken lassen und ein paar chauvinistische Gedichte veröffentlicht. Doch schon wenig später präsentierte er sich mit der „Legende vom toten Soldaten“ als jener, der später zum Inbegriff des linken Dichters wurde: „Und als der Krieg im vierten Lenz / Keinen Ausblick auf Frieden bot / Da zog der Soldat seine Konsequenz / Und starb den Heldentod.“

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