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Kultur: Und die Toten heißen Engel

Aus dem Innern des Panzers: Samuel Maoz’ beklemmender Kriegsfilm „Lebanon“

Entweder du tötest, oder du wirst getötet. Der Krieg reduziert das Denken und Handeln auf diese eine Alternative. Shmulik hat bisher nur auf Fässer geschossen, er steigt in den Panzer, ein blutjunger, unerfahrener Soldat, es ist sein erster Einsatz, im Libanonkrieg. Er zögert, als er auf ein entgegenkommendes Auto schießen soll, prompt wird einer seiner Kameraden tödlich getroffen. Im Krieg ist der Mensch eine Kampfmaschine. Wehe, sie läuft nicht wie geschmiert.

Samuel Maoz war 20, als er am frühen Morgen des 6. Juni 1982 zum ersten Mal einen Menschen tötete. Heute sagt der israelische Regisseur, er sei nie aus diesem Krieg zurückgekehrt. Er hatte posttraumatische Störungen, 25 Jahre lang. Der Film „Lebanon“ ist seine Therapie.

Eine drastische Maßnahme. Maoz hat den Film vollständig im Panzer gedreht, in diesem stählernen Sarg-Ungetüm, in dem es düster ist, dreckig, stickig, kaum zum Aushalten eng. Rostige, schmutzverschmierte Wände, auf dem Boden eine Brühe aus Öl und Urin, ein Sack Suppencroutons für den Hunger, eine Dose zum Pinkeln, trübe Aussichten durch das Zielfernrohr. Wolfgang Petersens „Boot“ ist dagegen ein komfortables Gefährt. Dröhnend setzt sich der Panzer in Bewegung, es rumpelt, rattert, bebt und vibriert, auch Shmuliks Gefechtsrohr fabriziert bei jedem Schwenk einen Höllenlärm. Nur die Stille danach dröhnt noch lauter.

Shmulik, der Richtschütze (Yoav Donat), und seine Kameraden – Jigal, der Fahrer (Michael Moshonov), Herztel, der Ladeschütze (Oshri Cohen), Assi, der Kommandant (Issay Tiran) – sollen einen Trupp Fallschirmspringer durch eine libanesische Stadt begleiten, die von der israelischen Luftwaffe bombardiert wurde. Ein Himmelfahrtskommando: Sie kommen von der Route ab, werden mit Granaten beschossen, zwielichtige Falangisten sollen ihnen aus der Gegend heraushelfen. Die Lage wird immer gefährlicher, die Stimmung in der beengten Panzerhöhle aggressiver, zumal sie bald auch noch einen syrischen Gefangenen mittransportieren.

Wenn Shmulik den Gefechtsturm steuert, wenn das quietschende Gerät stottert und stockt wie er selbst, wenn das Bild, das sich vor seinen Augen auftut, schwankt und erzittert, wird die Kamera selbst zur Waffe. Sie führt ihren eigenen Krieg: keine Totale, kein Überblick, kein Perspektivwechsel, nur diese extreme Nähe unter den zusammengepferchten Soldaten und dieser winziger Ausschnitt der Außenwelt. Wehe, du übersiehst etwas oder deutest ihn falsch.

Der Panzer heißt Nashorn, ein Toter ist ein Engel, das Codewort für verbotene Phosphorgranaten lautet „Flammender Rauch“. Der Krieg demoralisiert auch die Sprache. Samuel Maoz, der für „Lebanon“ in Venedig 2009 den Goldenen Löwen gewann, führt dem Zuschauer die todesangstbesetzte Tötungsenthemmung vor Augen, den Nervenkrieg, die Panik, die Verrohung – ähnlich wie Kathryn Bigelow in ihrem oscarprämierten Irakfilm „Tödliches Kommando“. Maoz’ Film hinterlässt jedoch ein tiefes Unbehagen, eben wegen der Perspektive, in die er den Zuschauer zwingt. Sie gehorcht der Logik jener Fragen für Kriegsdienstverweigerer: Würdest du selbst dann nicht schießen, wenn deiner Freundin eine Vergewaltigung droht? Nachdem das Dilemma des Soldaten schon nach wenigen Minuten mit Shmuliks unterlassenem Schuss auf das Auto veranschaulicht wurde, ist klar: Hier hat der freie Wille ausgedient, hier sind alle Opfer. Vor allem die Täter, die ihre Skrupel überwinden müssen. Ihnen gebührt Mitleid.

Die Truppe stößt auf Zivilisten, eine Frau irrt zwischen den Trümmern herum, ihr werden die Kleider vom Leib gerissen. Warum muss Shmulik eine nackte Frau ins Visier nehmen, damit man seine Tragik besser begreift? Warum auch noch dieses voyeuristische Moment?

Genauso war es, so roh und brutal: Maoz spekuliert auf die Bildgewalt des Dokumentarischen. „Waltz With Bashir“, der ebenfalls auf einem eigenen, verdrängten Libanonkriegs-Trauma basierende Film von Maoz’ Landsmann Ari Folman, wählte eine andere Ästhetik. Animationen illustrieren die aus dem Off geschilderten Erinnerungen. Im Krieg gerät jede Authentizität an ihre Grenzen, man kann nicht einfach zeigen, wie er „wirklich“ ist. Diese Wahrheit über den Krieg unterschlägt „Lebanon“.

Bis der Panzer im Feld strandet. Ein Monster inmitten blühender Sonnenblumen, eine surreale Szene zu Beginn und zum Ende des Films, eine Chiffre für den Irrsinn des Kriegs. Sie ist stärker als die 90 Minuten Realismus dazwischen.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Eiszeit, Filmkunst 66, OmU: Hackesche Höfe Kino, Babylon Kreuzberg

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