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Kultur: Und es bewegt sich doch

Das Schauspiel Frankfurt im Aufwind: Intendantin Elisabeth Schweeger hat den Bann gebrochen

Alles fing damit an, dass Elisabeth Schweeger eine Wand herausreißen ließ und die Kantine des Schauspiels Frankfurt für den Blick von der Straße her öffnete. Seither hat sie zwei Spielzeiten lang kontinuierlich daran gearbeitet, exemplarisch die Grenzen zwischen Theater und Stadt aufzuweichen. Längst ist das Abonnement als Indikator fürs theatralische Angebot untauglich geworden. Statt dessen geriert sich das Stadttheater mittlerweile als Vollzeit-Veranstaltung zwischen Seminar und Disco – mit philosophischen Salons, Diskussionen aller Art, Laborversuchen des Ensembles, Clubnächten mit DJ.

Ob in Frankfurt, Hamburg oder Berlin: Die Stadt- und Theaterlandschaft ist unübersichtlich geworden - und damit offenbar die perfekte neue Heimat für urbane „Nomaden“, wie Elisabeth Schweeger, die einen so schweren Start hatte, ihre Klientel gern bezeichnet. Jedenfalls werden im Publikum immer häufiger junge Leute angetroffen, die eindeutig nicht zum Besuch im Klassenverband verdonnert wurden.

Aber all das wäre als pop-pädagogische Erfolgsgeschichte – mit respektablen 85 Prozent Platzausnutzung! – vielleicht nicht weiter erwähnenswert, hätte die zurückliegende Spielzeit nicht auch mit einigen sehr sehenswerten Inszenierungen den ersehnten ästhetischen Aufschwung angekündigt, nach langen Jahren der Stagnation und des Niedergangs. Der Erfolg ist nun zu einem Gutteil das Ergebnis einer geschickten Einkaufs- und Kooperationspolitik. In Zusammenarbeit mit dem Straßburger Theatre National entstand Stéphane Braunschweigs „Gespenster“-Inszenierung - eine düster leuchtende, extrem formbewusste Studie über die bannende Kraft des Blicks, vibrierend vor unausgesprochenen Spannungen. Leise komischer Kontrapunkt: Udo Samel, der nicht nur hier als Ibsens Pfarrer zu sehen war, sondern auch Henning Mankells Migranten-Stück „Zeit im Dunkeln“ schauspielerisches Licht aufsetzte. Ein Glücksfall auch die Gast-Auftritte von Edgar Selge, der in der Uraufführung der Ex-Revoluzzer-Klamotte „Die Frankfurter Verlobung“ von Matthias Beltz zum Retter des Abends avancierte. Das Spekulieren auf große Schauspielernamen funktionierte umso besser, als das hauseigene Ensemble eher durch homogenes Teamspiel auffällt als durch herausragende Einzeltalente. Das muss kein Nachteil sein, wie gleich zwei Gastregisseure zeigten: Michael Thalheimer in seiner kühl-anrührenden Theater-Fassung von Rainer Werner Fassbinders Film „Warum läuft Herr R. Amok?“ und Dimiter Gottschef mit seinen leicht entrückten Tschechow-Tableaus beim „Platonov“. Doch um die Offenbarung schöner Seelen geht es hier zu allerletzt – nur um geliehene Posen in einer Atmosphäre schwereloser Eleganz, getönt vom Hauch der Vergeblichkeit.

Einen ähnlichen Stimmungseffekt erzielt auch Hausregisseur Armin Petras in seiner im Ansatz hochspannenden Inszenierung von Hebbels „Maria Magdalena“. Diesmal verraten die elektronisch verfremdeten Stimmen etwas über die Figuren, das sie selbst nicht wissen und erst recht nicht ausleben dürfen im Haus des strengen Meisters Anton. Petras hat Anton schwarz geschminkt und lässt seine Kinder von zwei schwarzen Schauspielern spielen – dennoch reduziert er das Stück nicht auf den „Tatort“-tauglichen Plot vom Migranten-Patriarchen, der eifersüchtig über der Sexualmoral seiner Tochter wacht.

Die größten Freiheiten aber im Haus nimmt sich die Choreografin Wanda Golonka. Sie ist die einzige am Schauspiel Frankfurt, die über eine vollkommen unverwechselbare künstlerische Handschrift verfügt. Das ist nicht ganz ungefährlich, denn es führt dazu, dass sich ihre Produktionen ähneln und und Sarah Kanes „4.48 Psychose“ plötzlich wie ein Appendix des Golonka-Achtteilers „AnAntigone“ wirkt. Allerdings erledigen sich solche Einwände angesichts der bohrenden Qualität ihrer Arbeiten von selbst. Wanda Golonka versucht nicht, den Abstand zwischen der antiken Tragödie und dem Heute zu verkürzen. Im Gegenteil. Sie macht den Stoff ganz fremd und verschafft ihm dadurch neue Präsenz. In Wanda Golonkas stillen Tiefenbohrungen wird das Frankfurter Schauspiel zu einem Ort, an dem das Akademische sich in Erfahrung transformiert. Hier deutete sich in der letzten Spielzeit eine ganz neue – und uralte – Öffnung des Theaters in die Stadt hinein an und löste das Versprechen ein, das Elisabeth Schweeger vor zwei Jahren mit der eingerissenen Kantinenwand gab.

Ruth Fühner

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