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Kultur: Und Jesus tanzte

Der Bach-Macher: Christoph Hagel richtet eine szenische Johannespassion im Berliner Dom an.

Im Programmheft zur Aufführung wird der Berliner Dom für seine „spirituellen Besonderheiten“ sowie eine „große Paletten an geistlichen Angeboten“ (!) gerühmt. So klingt das, wenn sich Religion und Werbesprache vereinigen. Letztere findet man auch in den Ankündigungen zu Christoph Hagels Produktion der Johannespassion. Sie bewirbt sich auf Plakaten selbst als „große Aufführung“; so weit das quantitativ gemeint ist und den hohen Aufwand des Unternehmens bezeichnen soll: kein Widerspruch. Die von Bach geforderten Ensembles und Solisten werden durch eine Gruppe von Tänzern sowie Schüler der staatlichen Ballettschule Berlin ergänzt, das Bühnenpodest wurde mit mehreren Tonnen Sand aufgeschüttet. Bachs Musik soll so „dem urbanen Berliner des 21. Jahrhunderts“ (Hagel) nähergebracht werden. Angesichts dieser Herausforderung wirken Inszenierung und Choreografie (Martin Buczko) eher konventionell.

Der Evangelist ist wie der Chor und das Orchester rechts von der Bühne postiert und berichtet vom Passionsgeschehen sozusagen aus dem szenischen Off. Christoph Hagel (wieder Regisseur und Dirigent in Personalunion) hat man in seinen Mozart-Produktionen als inspirierten Musiker erlebt, bei Bach möchte man allerdings seine Leitung eher als „Koordinat“ denn als Dirigat bezeichnen. Über weite Strecken wird stramm durchtaktiert, mit stereotypen Schwerpunkten auf der Eins; welche Artikulation Hagel vorschwebt, bleibt fast durchgehend unerkennbar. Manchmal holt er gestisch stärker aus oder legt umgekehrt den Finger an den Mund, um die Lautstärke zu drosseln. Man sieht das, aber der gewünschte Effekt bleibt meistens aus.

Das liegt zweifellos auch an der technischen Verstärkung der Musik, die in der berüchtigt schwierigen Akustik des Doms offenbar unvermeidbar ist. Sie führt zu einem unangenehm halligen Klangbild ohne Hintergrund und Relief, die Instrumentalfarben lassen sich kaum noch zuordnen. Unter diesen Bedingungen entzieht sich die Leistung der Berliner Symphoniker sowie des Berliner Symphoniechors im Grunde einer Bewertung.

Von Bachs Musik abgesehen, verlangt die Produktion von den am Bühnengeschehen beteiligten Sängern die Qualifikationen von Musicaldarstellern. Was besonders Christian Oldenburg als Jesus in den drei Disziplinen des Tanzens, (mikrofonierten) Singens und Schauspielens leistet, ist eindrucksvoll. Auch Johannes Gaubitz, der nicht nur den Evangelisten, sondern auch die Tenorarien singt, überzeugt mit schönem Ton, Gestaltungswillen und Durchhaltekraft.

Der Schwerpunkt der Inszenierung liegt unverkennbar auf der Figur des Pontius Pilatus (Ulf- Dirk Mädler), der sanftmütig und nachdenklich die herrliche Arie „Betrachte, meine Seel’“ vorträgt. Auf die hier gezeigte Läuterung des Pilatus spielt vermutlich auch ein vorangestellter, über den Altar projizierter Film an: Er berichtet von einem amerikanischen Gefängnisdirektor, der unter dem Eindruck einer Hinrichtung seinen Beruf aufgibt und zu einem Gegner der Todesstrafe wird. Die Parallele zu Pilatus wird deutlich. Wäre dann der Hingerichtete nicht eine Art Jesusfigur? Von ihm wird gesagt, er habe sich seine Verbrechen verziehen und könne deshalb auch seinen Exekutoren verzeihen. Darin steckt entweder eine provokante theologische These (eine „spirituelle Besonderheit“ sozusagen) oder nur ein Übersetzungsfehler bei der versuchten Aktualisierung.

Daran muss sich der urbane Berliner nicht unbedingt stoßen. Wegen des großen Engagements der jungen Künstler wünscht man Hagels Produktion ohnehin viele Zuschauer. Weitere Aufführungen bis zum 24.3.

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