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Kultur: Und plötzlich steht alles auf dem Spiel

Die neue Reihe „14 plus“: Während die Erwachsenen auffällig hinfällig werden, entdecken die Jugendlichen ihre Kraft

Erwachsene neigen dazu, das Alter zwischen 14 und 18 als eine einzige große Verwirrung darzustellen. Das ist natürlich gelogen: Erkenntnisse schlagen in dieser Zeit ein wie Meteoriten der Wahrheit. Entscheidungen fallen konsequent und manchmal grausam. Die Gesten entsprechen eins zu eins dem eigenen Körpergefühl. Und Jugendliche wissen eine Menge über sich und was sie wollen.

So genau, dass sie sich mit ihrer wilden Entschlossenheit lächerlich machen – vor Erwachsenen, die glauben, es werde sich später im Leben schon noch alles relativieren. Nur, weil sie selber zugelassen haben, dass sich alles relativiert. Die Filme der Reihe „14plus“ feiern diese einmalige Klarheit der Adoleszenz, die nichts anderes als eine gemeisterte Verwirrung ist.

Die über die Eltern zum Beispiel. Auffällig hinfällig werden die nämlich, sie werden regelrecht ertappt. Dabei, dass sie feige handeln. Dass sie die falschen Schlüsse gezogen haben. Dass man sie trotzdem lieb hat. Da ist die alkoholsüchtige Mutter von Mille im dänischen „Bagland“ (Anders Gustafsson), deren Schwäche die Tochter selbst zu Haltung herausfordert. Da sind die zögerlichen Eltern in der norwegischen Komödie „Bare Bea“ (Petter Naess), die ihrer Tochter erst ein Studium in Kanada zutrauen, als diese dort schon angenommen ist. Währenddessen hat sich Bea mit Witz und Verve um ihre ersten Jungs gekümmert – und die sich um sie. Und vor allem ist da der irrende Vater von Jargo in dem gleichnamigen deutschen Beitrag, gedreht von der isländischen Regisseurin Maria Solrun: Udo Kier spielt den herben Geist eines Vaters, der vor lauter Schwäche aus dem Fenster gesprungen ist. Er erscheint seinem Sohn und fordert von ihm: „Bis du 16 bist, musst du ein Mann sein!“ So, als gäbe es keine anderen Sorgen: Am Bett sitzend, Zigarre rauchend, in der Badewanne erscheint er ihm und fällt einfach hinter ihm vom Balkon. Aber Jargo, der weiße Araber in Berlin, muss sich mit seiner eigenen Realität im Märkischen Viertel, seinem türkischen Freund Kamil und dessen betörender, drogensüchtiger Freundin auseinandersetzen. In jeder Hinsicht glänzend sind hier die Gesichter der beiden Hauptdarsteller – schließlich ist das auch das Alter, in dem die Talgdrüsen am heftigsten arbeiten.

Dass es nun zum ersten Mal auf der Berlinale eine eigene Reihe für und über die Jugend gibt, ist nicht nur formal überfällig, sondern vor allem filmisch überraschend. Denn Menschen, die dabei sind, hinter die Fassaden zu schauen, wollen niemandem mehr auf den Leim gehen. Auch Filmen nicht. Vielleicht steht diese Reihe schon deshalb nicht im Verdacht, etwa Kitsch zu produzieren oder Klischees zu reproduzieren. Ihr Anliegen ist es nicht, in fremde Welten zu entführen, sondern die eigene zu begreifen. Daher die Geste des Fragens. In einer Suche nach Klarheit umkreisen die Filme ihr Sujet. Es sind Dinge, die man gerade mit 14 plus – je nach Temperament – mit Erstaunen oder Entsetzen entdeckt. Die phänomenale Schwäche der Erwachsenen. Die Empfindung der eigenen Einmaligkeit, die zwangsläufig einsam macht. Und die erstaunliche eigene Kraft.

Trotz aller erzählerischen Leichtigkeit vermeidet diese Reihe nicht die Begegnung mit dem Tod. Wenn sich der 17-jährige Eidok in dem iranischen Film „Das Paradies ist anderswo“ (Abdolrasoul Golbon) überlegen muss, ob er der Tradition der Blutrache folgt und seinen Vater rächt. Oder wenn der Graffiti-Sprayer in dem amerikanischen Film „Quality of Life“ (Benjamin Morgan) in seiner Sinnsuche so lange nicht fündig wird, bis er zur Pistole greift. Diese alterseigene Spannung, bei der mit größter Selbstverständlichkeit immer „alles“ auf dem Spiel zu stehen scheint: Immer wieder ist dieses Gefühl in den Filmen zu finden.

Thomas Hailer ist Leiter des Kinderfilmfestes und damit verantwortlich für „14plus“. „Die Filme sind ganz nah an den Jugendlichen und ihren Problemen,“ sagt er. Das stimmt vermutlich nur, weil auch das Gegenteil wahr ist: Das Leben von Jugendlichen ist in seiner Unruhe, seiner Unmittelbarkeit, seinen Suchbewegungen, seinen abrupten Entscheidungen und unvermuteten Erkenntnissen verdammt nah an einem Drehbuch dran.

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