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Menschen als Ware. Szene aus Steve McQueens Drama „Twelve Years A Slave“ mit Chiwetel Ejiofor (Mitte).

© Francois Duhamel/picture alliance / dpa

"Underground Railroad" von Colson Whitehead: Aufstand einer Sklavin

Ewige Knechtschaft: Colson Whiteheads preisgekrönter Roman „Underground Railroad“ erzählt von den Ursprüngen des heutigen Rassismus.

Als der amerikanische Präsident Donald Trump in der letzten Woche den rechtsradikalen Mob verteidigte, der in Charlottesville gegen den Abriss eines Denkmals des Südstaatengenerals Robert E. Lee demonstriert hatte, berief er sich auf zwei berühmte Vorgänger. „Diese Woche ist es Robert E. Lee, nächste Woche Stonewall Jackson. Wer kommt danach, George Washington oder Thomas Jefferson? Wo wird das enden?”, fragte er.

Wo die Geschichte des Rassismus in den Vereinigen Staaten enden wird, lässt sich nur schwer prophezeien, klarer ist, wo sie begann: in der Ära ihrer Gründerväter. Washington und Jefferson besaßen Farmen, auf denen Sklaven die Arbeit machten, und als Jefferson, der später zum dritten Präsidenten der USA gewählt werden sollte, in der Unabhängigkeitserklärung von „Leben, Freiheit und dem Bestreben nach Glückseligkeit“ als „unveräußerlichen Rechten“ jeden Menschens schwärmte, meinte er damit nicht alle. Schwarze waren ausgeschlossen vom Glücksversprechen, sie galten als Ware.

In Colson Whiteheads Roman „Underground Railroad“, der in den USA mit dem National Book Award und dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, sich 32 Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“ behauptete und nun auch noch für den Bookerpreis nominiert wurde, hat Thomas Jefferson einen indirekten Auftritt. Auf der Randall-Plantage in Georgia, wo der erste Teil der Handlung spielt, gibt es einen Sklaven namens Michael, dem ein Vorbesitzer beigebracht hatte, neben einigen Reimen auch die Unabhängigkeitserklärung aufzusagen.

Der Vorbesitzer war von Papageien fasziniert und fest davon überzeugt, dass, wenn bereits ein Vogel Limericks wiedergeben konnte, ein Sklave noch zu weit Größerem berufen sein musste. Denn Schwarze waren besonders schlaue Tiere, schon ein ein flüchtiger Blick auf den Schädel bewies, „dass ein Nigger ein größeres Gehirn besaß als ein Vogel.“ Eine Zeit lang wird Michael weißen Besuchern als eine Art menschlicher Automat vorgeführt, doch als seine Arbeitskraft nachlässt und er sich von „schwarzem Zauber“ verfolgt fühlt, prügelt ihn der Aufseher zu Tode.

Der Roman stellt die Gewalt exzessiv dar

Cora, die junge, rebellische Heldin des Buches, lernt zweierlei aus der Episode. Dass die Weißen nach einer doppelten Moral leben. Den schönen Worten ihrer Bibel und ihrer Verfassung ist nicht zu trauen. Und dass zu viel Bildung gefährlich sein kann. Jedenfalls für Sklaven, die Befehlen, nicht ihrem eigenen Kopf folgen sollen. „Underground Railroad“ erzählt davon, wie barbarisch Menschen sein können, die glauben, mit sich die Zivilisation in die Welt zu bringen. Das Buch beginnt in hartem, mitunter kaum erträglichen Realismus mit Szenen der Unterwerfung und Unterdrückung, angefangen mit dem Schicksal von Coras Großmutter Ajarry, die an der afrikanischen Goldküste von Sklavenjägern gefangen, beim Schiffstransport über den Atlantik vergewaltigt und schließlich in South Carolina für 262 Dollar versteigert wird. Jefferson mochte die Menschenrechte formuliert haben, aber auf der Sklavenauktion ist der nackt auf einem Podest angebotene Mensch bloß ein Stück Lebendfleisch.

Auf der Baumwollplantage der Randall-Brüder gibt es eine Hackordnung unter den Versklavten, „eine Ordnung von Elend, ein in anderem Elend steckendes Elend“, und Cora, die von ihrer Mutter früh verlassen wurde, steht in dieser Hierarchie weit unten. Der Plantagenbesitzer ist ein Sadist, der gerne aus der Hinrichtung entlaufener und wieder eingefangener Sklaven ein Spektakel macht.

So können weiße Gäste das langsame Sterben eines dieser Delinquenten bequem von der Veranda des Herrenhauses aus verfolgen. „Randalls Besucher schlürften gewürzten Rum, während Big Anthony mit Öl übergossen und geröstet wurde.“ Seine Schreie bleiben den Zuschauern erspart, denn die Henker hatten dem Opfer „sein Geschlecht abgeschnitten, es ihm in den Mund gestopft und diesen zugenäht.“

Mit seiner exzessiven Darstellung von Gewalt wirkt „Underground Railroad“ mitunter wie das literarische Pendant zu einem Splatterfilm. Aber obszön und blutig war in diesem Fall die Geschichte selbst. Whitehead beruft sich auf die „Slave narratives“, Aufzeichnungen von geflohenen Sklaven, und stellt einigen Kapiteln authentische Steckbriefe voran, mit denen etwa ein Ben Wells 1812 nach einem „Negermädchen, 18 Jahre alt, vor neun Monaten entlaufen“ fahndet. Cora weiß, dass sie in der „Ewigkeit ihrer Knechtschaft“ immer nur für kurze Momente ein Mensch sein kann. Deshalb flieht sie mit ihrem Gefährten Caesar durch die Sümpfe in ein neues Leben.

Die Wahrheit ist ihm wichtiger als historische Fakten. Der Schriftsteller Colson Whitehead, 47.
Die Wahrheit ist ihm wichtiger als historische Fakten. Der Schriftsteller Colson Whitehead, 47.

© imago/Leemage

Die „Underground Railroad“ ist ein Mythos, das Codeword für ein geheimes Netzwerk von weißen Menschenfreunden, das Sklaven zur Flucht in die Nordstaaten verhalf. Harriet Beecher Stowe hat in ihrem 1852 erschienenen Roman „Onkel Toms Hütte“ ein solches Helfernetz beschrieben, bei der Beschreibung der passiv-duldsamen Schwarzen aber selbst auf rassistische Stereotype zurückgegriffen. Colson Whitehead nimmt in seinem Gegenbuch zur „Onkel Tom“-Legende das Bild von der Untergrundbahn wortwörtlich. Bei ihm gibt es tatsächlich versteckte Bahnhöfe, wagemutige Stationswärter und Dampflokomotiven, die ihre Menschenfracht schnaufend in die Freiheit transportieren.

Darf man das, Fantasy und Geschichte vermischen, bis sie kaum noch voneinander zu unterscheiden sind? Colson Whitehead sagt, dass ihm die Wahrheit wichtiger sei als Tatsachen. Zur Wahrheit seines Romans „Underground Railroad“ gehört, dass er nicht bloß vom Rassismus der Vergangenheit handelt, sondern auch von dem der Gegenwart. „Der amerikanische Imperativ“, schwadroniert einer der weißen Protagonisten, fordere, „die unbedeutenderen Rassen zu unterwerfen oder auszurotten“. Eine ähnliche Rede hätte auch einer der Aktivisten von Charlottesville halten können.

Die Underground Railroad hat viele Nebengleise, es gibt ständig Verspätungen und manchmal endet die Fahrt in einer Sackgasse. „Schaut hinaus, während ihr hindurchrast, und ihr werdet das wahre Gesicht Amerikas sehen“, empfiehlt der erste Lokomotivführer. In South Carolina wird Cora Zeugin, wie „Protektoren“, vermeintlich hilfsbereite Weiße, das schwarze Bevölkerungswachstum mittels „strategischer Sterilisation“ einzudämmen versuchen. In North Carolina sind sie bei der „Nigger-Abschaffung“, schon etwas weiter, nutzen dafür aber noch das gute alte Mittel der Massenexekution. Cora muss sich in einem Dachboden verstecken, was Assoziationen an Anne Frank aufkommen lässt.

Mit der historischen Wirklichkeit haben diese Anspielungen auf den Genozid der Nationalsozialisten nichts zu tun. Wahr in einem tieferen Sinne sind sie trotzdem. Denn die Sklaverei in Amerika trug durchaus die Züge eines Völkermords. Eine Gegenfigur zu Anne Frank war dabei das Sklavenmädchen Harriet Ann Jacobs, das sieben Jahre auf einem Dachboden in North Carolina überlebte und darüber in ihren Memoiren berichtete. Colson Whitehead will eine andere Perspektive auf die Geschichte der Sklaverei eröffnen, die bislang vor allem von Weißen geschrieben wurde. Mit „Underground Railroad“ ist ihm das auf fulminante Art gelungen.

Colson Whitehead: Underground Railroad. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus Stingl, Hanser Verlag, München 2017, 352 Seiten, 24 €.

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