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Kultur: Unendliche Weisen

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen über Geburtstage und die neue CD von Niobe Vor ein paar Tagen ist Cecil Taylor siebzig Jahre alt geworden. Berliner sollten diesen Mann auch dann kennen, wenn sie nicht an der Geschichte des Free Jazz interessiert sind.

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen über Geburtstage und die neue CD von Niobe

Vor ein paar Tagen ist Cecil Taylor siebzig Jahre alt geworden. Berliner sollten diesen Mann auch dann kennen, wenn sie nicht an der Geschichte des Free Jazz interessiert sind. Er hat in dieser Stadt fast zwei Dutzend CDs für das ortsansässige FMPLabel aufgenommen, saß zeitweilig verlässlicher als andere berühmte oder berüchtigte Stammgäste an einem bestimmten Tisch in der „Paris Bar“, hat schrillerweise im „Abraxas“, auch auf der Kantstraße, seinen Spaß gehabt und hat einmal eine Platte gemacht, auf deren Cover das einzige schöne Foto der Deutschen Oper zu sehen ist, das es gibt („The Tree Of Life“, 1998).

Cecil Taylor ist aber auch aus einem anderen Grund wichtig. Durch seine Musik kann man sich das seltene Gefühl verschaffen, eine völlig neue Welt zu erfahren. Das ist genauso gemeint, wie es klingt: eine völlig neue Welt. Das meint nicht irgendein Fantasy-Reich, sondern eine Welt mit anderen Naturgesetzen. Aber mit durchaus erkennbaren solchen. Ich rede von diesem unglaublichen Unendlichkeitsgefühl, dessen Unendlichkeit sich unter anderem auch auf eine fußgängerisch geschichtsphilosophische Weise vervollständigen lässt: es gibt noch so viele, nämlich unendlich viele Möglichkeiten. Vor allem aber ergreift dieses Gefühl einen aktuell, beim Hören: Diese Musik klingt nämlich immer ganz klar zwangsläufig und bleibt doch so unendlich. Sie ist einerseits also völlig unbeliebig und beim ersten Ton identifizierbar und also komplett bestimmt und andererseits radikal offen und ohne irgendein ersichtliches Ende oder eine Grenze. Es geht immer weiter.

Der Zeitschrift „de-bug“ entnehme ich, dass auch die Gruppe Autechre ein Jubiläum feiert, nämlich das zehnte. Ihretwegen hat man vor zehn Jahren unglückselige Begriffe wie „Intelligent Techno“ erfunden. Sie steht – neben einigen anderen – dafür, dass der von der Techno-Kultur initiierte Aufbruch nicht nur ein kultureller und sozialer blieb, sondern der Pop-Musik auch musikalisch eine neue Welt erschloss: die des inspirierten Programmierens. Endlich wurde, was in der Pop-Musik intellektuell und produktionsästhetisch schon lange gilt, auch technisch Wirklichkeit: sie besteht zuvörderst aus Daten, nicht aus Klängen. Zu oft beschränkt sich dieses Wissen allerdings auf das brave Nutzen des von der Software Vorgegebenen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit höre ich ein neues Album, das mir in einem ähnlichen Sinne wie einst Taylor oder Autechre klar machte, dass es doch immer weiter geht: Die zweite CD der Kölner Sängerin und Musikerin Niobe, „Tse Tse“ (Sonig). Yvonne Cornelius (so lautet ihr bürgerlicher Name) arbeitet mit einem Prinzip, das immer mal wieder angewandt wurde, aber selten mit solchen Resultaten: Bei ihr existieren verschiedene, in sich einigermaßen intakte Formen nebeneinander, ohne zu einem Sound oder Stil miteinander versöhnt zu werden. Der verschlafen inspirierte jazzige Song und die ugandisch anmutende elektronische Percussion-Orgie, die nach innen gekehrte Stimme hier vorne, der Algorithmus dort hinten, die Flöte da oben, sie alle bleiben für sich stehende intakte Einzelteile, die mit ihren konnotativen Wurzeln ganz und gar in anderen Welten leben.

Es gab immer wieder postmoderne Künstler, die sich an der Möglichkeit und auch dem eigenen Mut zu solch radikal unverbundenen Nebeneinander gelabt haben. Das aufregend Neue an Niobe ist, dass Yvonne Cornelius aber doch Wege kennt, diese disparaten Welten aus Neue Musik, Pop-Elektronik, Exotika und einem sich selbst literarisierenden Gesang zusammenzuführen. Sie bleiben für sich funkelnde Stücke und verwirbeln dennoch. Was sie zusammenführt ist weder eine große Virtuosität wie bei Taylor, noch der auf neue Weise den Status von Klängen festlegende Blick des Programmierers, sondern etwas Drittes, ein neuer Entwurf von Künstlertum und Selbstbezug – jenseits all der Eitelkeiten, der Beschränktheiten und der bloßen Technik der Subjektivität.

In dem Lied „Nachtsendung“ wird man an das Bedürfnis vieler großer Musiker, von Stockhausen bis zu Joe Meek, erinnert, sich zum reinen Empfänger zu machen, die produktive Subjektivität zugunsten einer Antenne aufzugeben, die kontingent auffängt, was so durch den Äther rauscht. Wieder entsteht dieses Gefühl der bestimmten Unendlichkeit: es könnte eigentlich alles sein, was an dem „lone satelite“ des Songs hängen bleibt und wirkt dennoch total zwingend.

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