zum Hauptinhalt

Kultur: Ungeduld des jungen Herzens Wiederentdeckt: Curt Goetz’ Schillerfilm

Schiller. Man entkommt ihm nicht in seinem 200.

Schiller. Man entkommt ihm nicht in seinem 200. Todesjahr. Räuber, Kabale und Jungfrauen zuhauf, und auf allen Kanälen Schiller-Spezialist Rüdiger Safranski. Eine Trouvaille aber gibt es, die auch Schillermüden den Dichter erquickend vor Augen führt: „Friedrich Schiller. Eine Dichterjugend“, ein Stummfilm von Curt Goetz, 1922 an Stuttgarter Originalschauplätzen gedreht. Die Hohe Karlsschule, Schillers Wohnung bei der Witwe Vischer, sein Lieblingsgasthof „Zum Goldenen Ochsen“ existieren längst nicht mehr.

Goetz-Forscher Horst Jaedicke, ein lebhafter alter Herr, ehemals Fernsehintendant des SWR, erzählt anlässlich der Stuttgarter Premiere im Schauspielhaus, 82 Jahre nach der Uraufführung am selben Ort, von seiner weltweiten Suche nach dem Film. Er fand ihn schließlich im Regal des Filmmuseums München. Dessen ehemaliger Direktor Enno Patalas hatte die einzige Kopie in Moskau aufgestöbert: sorgsam gepflegte Kriegsbeute. Curt Goetz, Schauspieler in über zwanzig Stummfilmen, später berühmter Komödienautor, wollte 1922 seinen ersten Film als Regisseur unbedingt über Schiller machen. Zusammen mit seinem Freund Max Kaufmann drehte er ihn für die astronomische Summe von 25 Millionen Mark, eine Summe, für die man Monate später gerade noch ein Brot bekam.

Die jetzt aufgeführte Fassung ist frisch restauriert, die schwäbischen Untertitel wurden übersetzt und vor allem: der streckenweise stark ausgebleichte Film eingefärbt, bläulich die Nacht, gelblich der Tag, rosa die höfische Welt. Das wirkt belebend. Noch belebender: der neue Soundtrack. Drei gewaltige Schlagzeuganlagen sind vor der Leinwand aufgebaut, dazu eine Tonspur mit zeitgenössischer Musik und Stimmen, unprätentiös und durcheinander Schillersätze sprechend. Der junge Schiller wird annehmbar dargestellt von dem etwas zu alten Stuttgarter Schauspieler Theodor Loos. Goetz gelang dennoch ein erstaunlich unpathetischer Stummfilm. Schiller wird nicht verherrlicht, im Gegenteil, Goetz umgibt Klugheiten mit der „schützenden Hülle eines Witzes“, wie Herbert Ihering urteilte. Und findet man Schillers plumpes Verhalten beim Kaffee mit seiner Zimmerwirtin Vischer auch zu stummfilmhaft, seine übertriebene,stark schwäbelnde Darstellung des Clavigo zu Ehren von Goethes Besuch in Stuttgart wirkt wiederum authentisch.Trotz Altersstaub trifft Goetz Schillers Kern, wie wir ihn heute zu kennen meinen: Dass er ohne Bedenken Schulden macht, sich gerne und ungeschickt verliebte, dass sein „Enthusiasmus der Freiheit“ sich früh entzündet im Protest gegen das strenge Regime von Herzog Karl Eugen.

Nächste Vorführungen: Haus der Geschichte, Stuttgart, 31.3, 7.4; Ausstrahlung auf Arte am 29.4.

Ulrike Kahle

Zur Startseite