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Kultur: Unglück ist ansteckend

Literaturfestival Berlin: Wilfried N’Sondé stellt seinen Roman aus der Pariser Banlieue vor

Der Ich-Erzähler, ein Schwarzer aus dem Kongo, sitzt unter Mordverdacht in einer Pariser Zelle und kann sich doch kaum erinnern, dass er im Suff einen Polizisten umgebracht haben soll. Er trauert seiner verflossenen Liebe Mireille nach, der hellhäutigen Tochter algerischer Juden. Sie ist die wirklich Unzufriedene in Wilfried N’Sondés Debütroman „Das Herz der Leopardenkinder“. Irgendwann, da hat Mireille es nicht mehr ausgehalten: das Viertel, ihr Leben, einfach alles. Wenn sie aus der Vorstadt auf den Campus zurückkehrte, schrubbte sie sich als Erstes die „Gerüche, Geräusche, Worte und Gesichter aus ihrem früheren Viertel ab. Vielleicht würde sie mich gar nicht wiedererkennen, wenn sie zufällig Zeugin meines Scheiterns im Halbdunkel der Zelle würde?“

Warum aber ist er gescheitert? Weil, wie Wilfried N’Sondé seinem Protagonisten in den Mund legt, „Unglück eine ansteckende Krankheit“ ist. N’Sondé muss es wissen. Er kennt sich aus mit dem Leben in den Vorstädten, von dem wir meist nur aus der Zeitung etwas erfahren, wenn in Paris oder Straßburg wieder mal Autos brennen und Barrikaden errichtet werden. 1968 in Brazzaville im Kongo geboren, übersiedelte er mit fünf Jahren zusammen mit seiner Familie nach Frankreich. Dort lebte er später von schlechtbezahlten Jobs auf dem Markt, ehe es ihm gelang, sich an der Sorbonne für ein Politologiestudium einzuschreiben. Zu dieser Zeit entstanden erste Gedichte und Erzählungen. Heute lebt N’Sondé als Musiker, Schriftsteller und Vater von zwei Kindern in Berlin. Ein neues Album mit Chansons ist in Arbeit. Man merkt den äußerst rhythmisch geschriebenen Sätzen dieses Romanmonologs an, dass hinter ihnen echte Erfahrung steckt. Die Sprache der Jugendlichen ist rau, nur manchmal schleicht sich ein pathetischer Ton ein, dann wird geträumt: von einem besseren Leben fernab der Enge des Betonviertels, der Bundesstraße und der fünf Hochhäuser, zwischen denen der Erzähler sich fastverzweifelt Mut zuspricht: „Beiß die Zähne zusammen, die Welt gehört dir.“ N’Sondé erzählt von Sauftouren, dem Abhängen zwischen Wohnbeton und ohnmächtiger Wut, die oft nur noch in Gewalt ein Ventil findet. Nur selten blitzt da Hoffnung auf. Etwa, wenn der Ich-Erzähler seinem Freund Drissa nach einer Prügelei zuruft: „Mach dir klar, dass es dich schon seit jeher gibt, ohne das ganze Theater würde man mehr von dir sehen. Das stört nur auf der Straße, in der Schule, auf dem Bahnhof, im Leben und in der Liebe.“

Aber auch die Liebe hat es schwer unter solchen Bedingungen. In seiner Zelle vernimmt der Ich-Erzähler in N’Sondés Roman die unterschiedlichsten Stimmen, etwa die seines Vaters, der nach dem Ende der Kolonialzeit bekennt: „Wie Idioten stürzten wir uns in die Farce des wissenschaftlichen Sozialismus.“ Ohne zu politisieren, entwirft N’Sondé ein Bild vielfältiger Interessenskonflikte, die erst dazu führen, dass viele Afrikaner ihr Heil in Europa suchen.

Mag einen der coole Ton dieses an den Verhältnissen gescheiterten Protagonisten in N’Sondés Roman anfangs ein wenig nerven, so begreift man doch schnell, dass diese übersteigerten Selbstermunterungen für ihn, den Betroffenen, Überlebensstrategie sind. „Nur in höchster Wut vergisst man die Fehler, die man vor sich selbst nicht verbergen kann, denn in Wahrheit quälen sie uns pausenlos.“ Es ist das Pathos des Ohnmächtigen, seinem Schicksal Ausgelieferten, das uns die Sätze so fieberhaft erscheinen lässt. „Das Herz der Leopardenkinder“ ist der Monolog eines Migranten, auf dessen schwarzer Haut, wie es gleich auf der ersten Seite heißt, „Afrika spielt“. Dieses sehr reale Afrika liegt mitten in Europa.

Wilfried N’Sondé: Das Herz der Leopardenkinder. Roman. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Antje Kunstmann Verlag, München 2008. 125 Seiten, 14,90 €. – Morgen um 19 Uhr stellt der Autor im Literaturhaus sein Buch vor.

Volker Sielaff

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